Die italienischen Momente im Leben
mit dem Fassanstich für den neuen Wein zusammen), es wird getafelt und gefeiert, man sitzt gemütlich beisammen, ein Feuerwerk der Genüsse. Und eben weil man sich bewusst ist, dass das Miteinander von einheimischerKultur und Tourismus den großen Reiz von Sant’Arcangelo ausmacht, hat man in den letzten Jahren den »Palio der Piadina « ins offizielle Festprogramm aufgenommen. Wie in Siena handelt es sich dabei um einen Wettstreit zwischen den verschiedenen Stadtvierteln, allerdings braucht man hier keine Pferde, dieser einfache und populäre Wettkampf wird in einem großen Zelt mit Schneidebrettern, großen Feuerstellen und kulinarischen Zutaten ausgefochten – Männer, Frauen, jung und alt, versuchen herauszufinden, wer das beste Brot der Romagna macht. Allein oder zu zweit müssen die Teilnehmer jeder mindestens drei klassische piadine zubereiten, jene hauchdünn ausgerollten Teigfladen aus Mehl, Schmalz, Salz und Wasser, die der Tradition nach in einer Terrakottapfanne oder auf einer speziellen Metallplatte gebacken werden. Eine aufmerksame fünfköpfige Jury beurteilt dann unter Berücksichtigung der überlieferten Rezepte, welche davon die beste ist, einmal in der kalten, einmal in der warmen Variante.
Es mag sich jetzt so anhören, als ginge es bei diesem Volksfest vor allem ums Essen, und das stimmt ja auch, aber eigentlich ist es allgemein bekannt als die Fiera di bec , was nichts anderes heißt als das »Fest der Gehörnten«. Weithin sichtbar hängen auf der zentralen Piazza Ganganelli als nicht ganz ernst gemeintes, augenfälliges Symbol ein Paar Stierhörner unter dem riesigen Torbogen von Papst Clemens XIV.
Auch der folgende Brauch dreht sich um diese Hörner, die in ganz Italien zwar immer belustigt, aber auch stets ein wenig misstrauisch beäugt werden (jeder macht gerne Scherze darüber, aber man sollte nicht zu weit gehen ... nicht umsonst ist eines der schlimmsten Schimpfworte pezzo di cornuto – »du Hahnrei« –, und wenn man das zu einem Italiener sagt, dann sollte man entweder sehr kräftig sein oder sehr schnell laufen können): Geraten die Hörner in Bewegung, während jemand unter dem Bogen hindurchgeht, muss derjenige davon ausgehen, dass er eine Ehe zu dritt führt, alle anderen können sich entspannen, denn ihrEhepartner scheint ihnen treu zu sein. Seit einigen Jahren steht auch die Corsa dei Becchi auf dem Programm des Jahrmarkts, ein Zehn-Kilometer-Lauf, bei dem vor allem diejenigen antreten sollen, denen man im Lauf des Jahres Hörner aufgesetzt hat und die diese jetzt wieder loswerden wollen.
Dann gibt es noch einen kleinen Wettbewerb, an dem jedermann gerne teilnehmen darf. Man braucht dafür bloß anzugeben, wie viele Hörner man aufgesetzt bekommen hat, je verwinkelter und komplizierter die Geschichte ausfällt, desto höher ist der Gewinn.
Am Anmeldestand finde ich die »Tafel der Gehörnten«, die von der Hierarchie der Hahnreie des französischen Utopisten Charles Fourier inspiriert wurde. Dieser verfasste bereits um 1820 die ziemlich provokante Abhandlung Aus der neuen Liebeswelt , die allerdings erst in den Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts vollständig und auch in anderen Sprachen veröffentlicht wurde. Ich lese mir die verschiedenen Typen durch. Da ist vom »heimlichen Gehörnten« die Rede, dem »hastigen«, »viel beschäftigten« oder »reingefallenen«, vom »spöttischen« bis hin zum »bigotten« Hahnrei. Es gibt Gehörnte für jeden Geschmack, und wenn mehr Platz auf der Tafel gewesen wäre, hätte man dort alle 76 Typen von Fourier aufgelistet. Ein Teilnehmer beklagt sich auch prompt, seine Kategorie sei nicht aufgeführt, der »finanziell Gehörnte«, der es in der Hierarchie auf Platz 67 geschafft hat. Wenn ich es richtig begriffen habe, handelt es sich dabei um einen Jungvermählten, der mit einer großzügigen Mitgift gerechnet hatte und nach der Hochzeit darum betrogen wurde. Normalerweise wird ein solcher Ehemann ja durch die Liebenswürdigkeit und Schönheit seiner jungen Frau entschädigt, die sich für das falsche Spiel ihrer Eltern so schämt, dass sie es durch Tugendhaftigkeit und Wohlverhalten auszugleichen sucht, doch oft geht der Mann nicht darauf ein, vernachlässigt sie, sodass sie sich gezwungen sieht, einem diskreten Freund ihr Leid zu klagen, der empfänglicher für ihre Reize ist.
Ein anderer Teilnehmer erzählt mir die Geschichte von der Insel der Gehörnten, wo anscheinend jedem betrogenen Ehemann tatsächlich Hörner auf
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