Die Jaeger der Nacht
wieder illegale Kopien auf dem Schwarzmarkt gelandet sind. Und zweitens muss jetzt jeder das Stockwerk vor Anbruch der Dämmerung verlassen.«
»Tagsüber ist es komplett unbemannt?«
»Es ist nicht nur unbemannt, sondern die Fenster haben, wie du siehst, auch keine Jalousien. Sie wurden abmontiert. Das heißt, tagsüber strömt das Sonnenlicht ungefiltert herein, das beste Sicherheitssystem überhaupt. Nach Morgengrauen kommt niemand mehr hier rein. Niemand.«
Wieder entsteht eine Pause, und ich denke schon, dass dies das Ende der Unterhaltung ist. »Und wofür ist dieser große, blaue, ovale Knopf da?«, fragt Ashley June dann.
»Das darf ich dir eigentlich nicht sagen.«
»Oh, komm schon, bei mir ist es sicher.«
Er zögert.
»Genau wie alles andere, was du mir schon erzählt hast, all die Details, für deren Verrat du gefeuert werden könntest, bei mir sind sie alle gut aufgehoben«, sagt Ashley June mit einem fast drohenden Unterton.
»Das ist der Kontrollknopf für die Zentralverriegelung.«
»Was ist denn das?«
»Damit wird das Gebäude verriegelt, sämtliche Eingänge werden verschlossen, alle Fenster verrammelt. Sobald die Zentralverriegelung eingeschaltet ist, kann niemand das Gebäude verlassen. Einmal drücken, um das System zu aktivieren, noch mal drücken, um es wieder auszu …«
Seine Stimme geht unter im Stimmengewirr der Gruppe, die sich von den Fenstern nähert. Ich mische mich wieder unter die anderen. Niemand hat mein Fehlen bemerkt. Glaube ich.
Als die Gruppe die Monitore erreicht, sitzt der Mitarbeiter wieder auf seinem Platz und schwenkt den Kopf von links nach rechts und von oben nach unten. Einer der Begleiter erklärt mit monotoner Stimme, dass jeder Quadratzentimeter des Instituts von Kameras überwacht wird. Aber niemand hört zu, alle starren zur Kuppel auf den Monitoren, immer noch auf der Suche nach Hepra.
Alle, bis auf mich. Ich beobachte Ashley June.
Sie hat sich wieder davongestohlen und schlendert herum. Jedenfalls tut sie so. Irgendwas an ihrer Art – vielleicht, wie sie den Kopf gerade so neigt, dass sie auf dem Tisch liegende Dokumente lesen kann, oder sich im Vorbeigehen über ein Kontrollfeld mit Schaltern und Knöpfen beugt – wirkt zielstrebig und überlegt. Und sie versucht unbemerkt zu bleiben, was jedoch beinahe unmöglich ist. Sie ist eine Hepra-Jägerin, eine schöne dazu. Sie ist wie glühend heißes Öl fürs Gehirn. Schon bald hat jeder männliche Mitarbeiter Notiz von ihr genommen. Das merkt auch sie und gibt schließlich auf. Sie kehrt zu der Gruppe vor den Monitoren zurück und hebt den Kopf. Sie steht sehr still, unbewegt und undurchschaubar.
Ich starre sie von hinten an, ihr Haar, das matt glänzend in ihren Nacken fällt. Irgendwas hat sie hier im Kontrollzentrum vor, dieses Gefühl kann ich nicht abschütteln. Sie gräbt nach Informationen. Auf der Suche nach irgendetwas. Nach einer Bestätigung? Ich weiß es nicht. Aber in einem bin ich mir sicher: Sie spielt irgendein Spiel, von dem wir anderen noch nicht einmal ahnen, dass es begonnen hat.
Erst weit nach Mitternacht werden wir zum Essen in einen großen Saal im Erdgeschoss geführt und um einen runden Tisch platziert. Keiner der Begleiter setzt sich zu uns; sie ziehen sich stattdessen an einen eigenen Tisch in der Dunkelheit am Rande des Raumes zurück. Ohne ihre beharrliche Präsenz im Nacken werden die Jäger ein wenig lockerer: Unsere Rückenmuskeln entspannen sich und wir werden redseliger. Diese Mahlzeit bietet im Grunde die erste Gelegenheit, die anderen Jäger kennenzulernen.
Anfangs reden wir über das Essen. Wir bekommen Fleischsorten serviert, über die wir bisher nur gelesen, die wir jedoch nie zuvor gekostet haben. Eselhase, Hyäne, Erdmännchen, Kängururatte. Frisch erlegt in das Weite. Heißt es jedenfalls. Das Hauptgericht ist eine besondere Delikatesse: Gepard, der sonst nur von hohen Offiziellen bei Hochzeiten gegessen wird. Geparden sind schwer zu erlegen, nicht wegen ihrer Schnelligkeit – selbst die Langsamsten können mühelos einen flüchtenden Geparden einholen –, sondern weil sie so selten sind.
Natürlich wird jedes Gericht roh und blutig serviert. Wir plaudern über die unterschiedliche Beschaffenheit der Fleischsorten auf der Zunge, den Geschmack, der den des künstlichen Fleischs, an das wir gewöhnt sind, weit übertrifft. Blut rinnt über unser Kinn und sammelt sich in Tropfschalen. Die werden wir zum Ende des Essens leeren.
Das, was ich am
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