Die Jaeger der Nacht
abwischen, doch sie packt meine Hand und presst sie auf ihre Wange. Ihre weiche Haut und die warme salzige Flüssigkeit kribbeln in meiner Handfläche. Mein Herz zerschmilzt hoffnungslos und vermischt sich mit ihren Tränen.
»Bitte?«, flüstert sie und ihr flehentlicher Ton lässt etwas in mir zusammenbrechen.
Unsere Schultern berühren sich und sie schaut zu mir auf. So nah, dass ich einen winzigen Leberfleck in ihrem Augenwinkel erkennen kann. Ich streiche mit meinen Fingerspitzen darüber.
»Das ist ein Leberfleck. Da kannst du wischen, solange du willst, der geht nicht weg«, flüstert sie.
»Ich versuche nicht, ihn wegzuwischen.« Ich weiß nicht, was ich tue. Ich weiß nur, dass mein Herz explodiert und überquillt, und ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll.
Sie hebt sanft ihren nackten Arm. Ihre Augen sind weit, einladend. Ihre Achselhöhle ist entblößt und sie wartet. Sie blickt auf meinen Ellbogen und dann in meine Augen.
So sanft ich kann, schiebe ich ihren Arm nach unten. »Bitte«, sage ich leise, ein geflüstertes Flüstern, »versteh mich nicht falsch. Aber … ich habe nie … es hat mich nie das kleinste bisschen angemacht.«
Statt Verletzung sehe ich Erleichterung in ihren Augen, ein Überquellen der Gefühle. Sie lässt den Arm sinken. »Mir geht es genauso. Ich habe immer nur so getan, als würde ich es toll finden.« Sie wendet den Kopf ab. »Mit meinem Freund und das eine Mal mit dir in dem Schrank. Ich hatte das Gefühl, mit mir stimmt irgendwas nicht«, sagt sie mit brechender Stimme. »Ich bin ja auch nicht normal. Ich bin ein Hepra.« Das letzte Wort kommt heraus wie ein befreiendes, finales Schuldeingeständnis.
Ohne recht zu wissen, was ich tue, lege ich meine offene Hand auf ihren Handrücken. Ich spüre die Bewegung ihrer zarten Knochen, das leichte Zucken ihrer Finger. Ich ziehe die Hand weg, doch sie hält sie fest und legt ihre offene Hand in meine. Unsere Handflächen berühren sich ganz, Haut auf Haut. Wir starren uns mit großen Augen an. So etwas habe ich nie zuvor gespürt, es ist überwältigend. Ich wage nicht zu atmen. Sie schließt die Augen, hebt das Kinn und öffnet seltsam lockend ihre vollen Lippen.
Und dann verschränken sich unsere Finger. Ich wusste nicht mal, dass es möglich ist. Aber die Haut an der Seite ihrer Finger, die über die Seiten meiner Finger streichen … ist so zart und glatt wie ihr Nacken, und mir wird gleichzeitig heiß und kalt.
»Ashley June«, flüstere ich.
Sie sagt nichts, sondern hält den Kopf weiter himmelwärts geneigt. »Ich weiß«, erwidert sie schließlich flüsternd. »Ich weiß.«
Sterne blinzeln herab. Ashley Junes Kopf liegt auf meiner Schulter, ihr Arm über meiner Brust, und sie hält immer noch meine Hand. Wir haben uns nicht losgelassen, selbst dann nicht, als wir uns hingelegt haben und eingedöst sind. Ich höre die flachen Züge ihres gleichmäßigen Atems, das leise Pochen ihres Herzens an meinem Brustkorb. Meine Augen fallen zu. Ich schlafe wieder ein.
Als ich aufwache, ist es heller geworden, die Sterne verblassen und tauchen im Grau des Himmels unter. Der Duft der Morgendämmerung hängt schwer in der Luft. Ashley June liegt nicht mehr neben mir. Ich richte mich auf knirschenden Kieseln auf.
Sie ist nirgendwo auf dem Dach. Verwirrt trete ich an den Rand.
Dann sehe ich sie in der Ferne. Sie geht fort, tief in Gedanken versunken.
Minuten später laufe ich über den gepflasterten Pfad zu ihr. Überall sieht man Spuren der nächtlichen Feierlichkeiten: Pappteller, Fleischspieße, Weingläser und leere Flaschen. Sogar Pfützen von Erbrochenem. Sie spürt, dass ich näher komme, dreht sich um und wartet auf mich.
»Hey«, sagt sie mit einem blassen Lächeln und nimmt meine Hand.
»Ich hoffe, uns sieht keiner.«
»Nee, die sind alle total besoffen.«
»Hoffentlich. Was machst du?«
»Mich hat etwas bedrückt. Ich musste ein Stück laufen, um den Kopf frei zu kriegen.« Sie drückt meine Hand. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Komm mit«, sagt sie und wir gehen in Richtung Kuppel.
Wir laufen Hand in Hand unter dem heller werdenden Himmel, unsere Handflächen schmiegen sich perfekt ineinander. Überraschend unbefangen haken wir die Arme unter und ich spüre ihre weiche Haut auf meiner. Unsere Körper neigen sich vertraut zueinander, während wir uns der Kuppel nähern. Es ist leicht zu vergessen, was für ein Tag heute ist. Ein Tag, der mit der Jagd enden wird, mit Gewalt und Tod.
Dann
Weitere Kostenlose Bücher