Die Jäger des Lichts (German Edition)
verschmolzen. Aber selbst mit einem Körper von der Konsistenz von Haferschleim und geschmolzenem Plastik haben ihre Bewegungen etwas Fließendes, eine wilde, erotische Eleganz.
»Stell dich hinter mich«, flüstert Sissy. »Ich schalte ihn mit den Dolchen aus.«
»Die Dolche werden dir bei ihr nichts nützen. Sie hat uns genau studiert; inzwischen kennt sie alle deine Tricks.«
Sissy packt einen Dolch und lässt ihn wieder los.
»Geh weiter rückwärts«, flüstere ich. »Ich habe einen Plan.«
Rotlippchen springt von dem Felsen und kommt kauernd und wie in Zeitlupe auf allen vieren auf uns zu. Sie bewegt Arme und Beine im Gleichklang, den linken Arm mit dem linken Bein und den rechten Arm mit dem rechten Bein, wobei sie ihre Füße immer genau in ihre Handabdrücke setzt.
»Und wie lautet der Plan?«, fragt Sissy.
»Die Harpune.«
Sie schüttelt den Kopf. »Zu schwer.«
»Nicht, wenn wir sie zusammen hochheben. Jetzt!«, sage ich, drehe mich um und renne zu dem Haufen mit Ausrüstungsgegenständen, den ich zuvor entdeckt habe. Sissy folgt mir auf dem Fuße. Auf dem nassen Gras rutschen wir den Hang hinunter und landen links und rechts neben dem Geschütz. Rotlippchen läuft auf uns zu.
»Hilf mir!« Sissy fasst ihre Seite der Harpune, ich meine, und gemeinsam heben wir sie hoch. Sie wiegt so viel wie drei ausgewachsene Männer. Sissy hat schon zwei Finger am Abzug, ich lege zwei Finger auf ihre.
Als Rotlippchen die Harpune sieht, kommt sie rutschend zum Stehen.
»Genau! Zurück!«, ruft Sissy.
Rotlippchen legt den Kopf zur Seite, duckt sich nach rechts weg und rast mit einem ohrenbetäubenden Schrei auf uns zu.
Sissy und ich drücken ab.
Es braucht alle Kraft in unseren vier Fingern. Das Geschütz wird gespannt, bevor das Projektil mit einem gewaltsamen Ruck abgeschossen wird. Wir haben nicht perfekt gezielt, aber gut genug. In einem hilflosen Abwehrreflex hebt Rotlippchen eine Hand und die scharfe Speerspitze schneidet durch ihre Finger. Ich sehe zwei von ihnen – Zeige- und Mittelfinger? – durch die Luft fliegen, während die Speerspitze ihre linke Schulter durchbohrt. Ihr Schmerzensschrei ist grauenvoll.
»Los, lass uns abhauen, Gene!«, ruft Sissy, packt meine Hand und zieht mich hinter sich her. Wir gehen in einem großen Bogen um Rotlippchen herum, die sich auf der Seite liegend am Boden windet und versucht, die Speerspitze herauszuziehen. Vergeblich. Zu Boden gedrückt, unter Schmerzen und mit schwächer werdenden Kräften blickt sie in unsere Richtung. Unsere Blicke treffen sich.
»Deine Kennung ist Gene ?«, fragt Rotlippchen.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Der Klang meines Namens auf ihren Lippen lässt das Blut in meinen Adern gefrieren.
»Das ist das Wort, das sie die ganze Zeit gesagt hat«, fährt Rotlippchen fort.
»Wer?«, frage ich und mache einen Schritt zurück. Dabei weiß ich es schon.
»Näher«, säuselt Rotlippchen mit tiefer, heiserer Stimme. »Komm näher, Gene.«
Sissy zieht an meinem Arm. »Nein, Gene! Es will uns bloß aufhalten. Vielleicht sind noch weitere Jäger unterwegs.«
Rotlippchen fixiert mich mit einem harten Blick. »Das Mädchen, das du im Hepra-Institut zurückgelassen hast«, sagt sie und lässt den Kopf zur Seite wegsacken. »Als es endlich vorbei war, hat sie immer wieder gemurmelt: ›Gene, Gene, Gene.‹«
Das Blut weicht aus meinem Gesicht. Als es endlich vorbei war . Ich blinzle, der Boden unter meinen Füßen schwankt …
Sissy verpasst mir eine schallende Ohrfeige. »Wir müssen hier weg. Sofort!« Und damit zerrt sie mich am Arm hinter sich her.
Rotlippchens Schreie verfolgen uns bis zum Boot. Die Jungen haben es geschafft, alle drei Enterhaken über Bord zu werfen, doch das Boot wird immer noch von dem Harpunenseil aufgehalten. Wir folgen seinem Verlauf und entdecken das zwischen zwei Felsen eingeklemmte Geschütz.
»Hilf mir, Gene«, sagt Sissy. »Hey, wach auf, was ist los mit dir?« Sie tritt von der einen Seite gegen die Kanone, um sie zwischen den Felsen zu lösen.
Vom Deck des Bootes ruft David plötzlich: »Der Jäger kommt zurück!«
Mehr Ansporn braucht sie nicht. Mit einem kräftigen Tritt befreit sie das verkantete Geschütz, das zwischen den Felsen in die Tiefe rutscht.
Wir springen in den Fluss und schwimmen dem Boot nach. Die Kälte des Wassers reißt mich aus meiner Benommenheit, und ich strample kräftig und wütend voran. Die Jungen ziehen uns an Bord, wo wir auf das Deck sinken, zu erschöpft, um etwas
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