Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
kein Problem damit, darüber zu sprechen. Im Gegensatz zum Vater. Er fand sich zwar mit jedem verstreichenden Tag besser damit ab, aber gelegentlich rollten sich ihm die Zehennägel doch noch hoch, obwohl das Kind ja nun schon seit langem in den Brunnen gefallen war. Oder der Pater auf mich. Bei dem Gedanken gluckste ich vergnügt vor mich hin und erntete neugierige Blicke vom Reporter.
„Und wer ist der Vater?“, fragte er mich unverhohlen.
Mein Blick wanderte zum Ende des Raumes, wo die Kerzen am Altar entzündet wurden.
Mister Meyers drehte sich um und folgte meinem Blick. Er hatte nicht mitbekommen, dass Pater Michael schon vor einer ganzen Weile hinter dem Vorhang hervorgetreten war.
Er drehte sich wieder zu mir und sah mich an. Die Kinnlade fiel ihm bis auf die Brust. „Ihr Ururururgroßvater….ich meine, Pater Michael?“, entfuhr es ihm und seine Augen wurden größer als die Brillengläser, während er sich erneut zum Padre umdrehte.
10. Das Getrappel kleiner Füßchen
„Aber ich dachte, er hat ein Gelübde abgelegt und Enthaltsamkeit geschworen?“, flüsterte er ungläubig zu sich selbst.
„Er ist auch nur ein Mensch, Mister Meyers. Verurteilen Sie ihn deshalb nicht,“ erwiderte ich.
„Müsste er denn aber nicht aus der Kirche ausgeschlossen werden?“, fragte er mich und drehte sich auf der Bank wieder richtig herum.
Ich zuckte mit den Schultern. „Die Lage ist hier etwas anders. Es ist nicht so einfach.“
Der Reporter grübelte kurz nach. „Sie meinen also, dass er so etwas wie Narrenfreiheit genießt, weil er der Lehrer ist und von Gott geschützt wird?“
„Ich würde es nicht Narrenfreiheit nennen. Pater Michael muss sich auch an die Regeln halten. Die Kirche weiß davon. Natürlich sehen sie es nicht gern, aber sie nehmen es so hin, wie es ist. Frei nach dem Motto: spricht man nicht darüber, existiert das Problem auch nicht. Abgesehen davon wird in solchen Fällen immer individuell entschieden. Sie wissen von seiner Vergangenheit und sein Boss,“ ich deutete mit dem Finger gen Himmel, „vergibt ihm seinen Fehltritt im Angesicht der Tatsache, dass ich aussehe, wie die Frau, die er schon seit Jahrhunderten verehrt. Pater Michael hat viel Gutes getan. Das haben sie ihm nicht vergessen.“
„Sein Boss?“ Der Reporter blickte zur Decke, als würde er dort erwarten, das Abbild des Herrn zu sehen.
Ich schmunzelte über den Anblick, den er bot und wartete bis er sich wieder zu mir wandte. „Das ist auch der Grund, wieso ich mich bei Ihnen gemeldet habe und warum Sie,“ ich zeigte mit dem Finger auf ihn, „dieses Interview schnellstmöglich veröffentlichen müssen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Damit strich ich erneut über meinen Bauch. „Die Jagd ist äußerst anstrengend und gefährlich. In den nächsten vier Wochen mag es noch gehen, aber dann wird es mir zunehmend schwerer fallen, und ich werde zu einer leichten Beute für die Untiere da draußen. Deshalb müssen die Menschen jetzt gewarnt werden. Wenn ich nicht auf die Jagd gehen und sie beschützen kann, dann müssen die Menschen es allein versuchen und sich in der Dunkelheit von der Straße fern halten.“
Der Reporter nickte.
Das Geräusch des Tonbandgerätes zerschnitt die Stille zwischen uns. Mister Meyers wechselte das Band und drückte auf den Knopf zur Aufnahme. „Wie hat der Pater reagiert, als Sie ihm gesagt haben, dass Sie schwanger sind? Hat er sich gefreut?“, fragte er umgehend.
Ich dachte kurz nach, wie ich es ausdrücken sollte. „Mhh, als ich es ihm sagte, war er genau so überrascht wie jeder andere Mann auch. Vielleicht war der Schockzustand, in den er kurzerhand verfiel, eine Spur ausgeprägter. Das Erste, was er sagte, war: ,Wie ist das möglich?’“
Der Reporter lachte laut auf, sodass die Kirchenwände wackelten. „Das weiß doch jedes Kind. Wenn man nicht aufpasst, tja, dann gibt‘s bald das Getrappel kleiner Füßchen in dieser Kirche zu hören,“ meinte er.
Ich zog die Nase kraus und schüttelte den Kopf. „Es war ihm schon klar, WIE es geschehen war. Er ist ja nicht dumm! Es war auch keine Frage, die einer Antwort bedurfte. Es war ihm nur so herausgerutscht. Uns war klar, dass jeder seinen Teil der Schuld trug. Im Hause Gottes liegen normalerweise keine Präservative herum, und ich hatte schon zwei Jahre vor meinem Einzug in die Kirche aufgehört, die Pille zu nehmen. Es gab keinen Grund dafür, und ich konnte auch nichts dafür, dass der Pater sich
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