Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
mich plötzlich grob an den Schultern, bugsierten mich zum Altar, und ich fand mich direkt vor dem goldenen Kreuz stehend wieder. Die Augen von Jesus Christus, dessen Gemälde an der Wand hing, schauten wachsam auf mich hinab. Es kam mir vor, als würden sie mich prüfen, ob ich auch wirklich die Richtige für diesen Job war. Von irgendwoher zauberte Pater Michael einen Weihrauchschwenker hervor. Das Messing glänzte und strahlte vor Reinheit und blaue und rote Juwelen funkelten hier und da auf. Die Kette, an der das Gefäß hing, klirrte leise in den Händen des Paters, als er sie entrollte. Dann begann er damit, um mich herumzulaufen. Weiße Wölkchen, die aus den sternenförmigen Öffnungen in dem Schwenker entwichen, umhüllten mich wie eine Nebelbank auf hoher See. „Wahrscheinlich werde ich bald high sein von dem Kraut,“ schoss es mir durch den Kopf, und ich musste mir auf die Wangen beißen, um nicht zu lachen.
Die Stimme des Paters erklang in einem tiefen Timbre, das ich bei ihm noch nie gehört hatte. Ich war mir nicht sicher, ob es an der lateinischen Sprache lag, die ich nicht verstand, oder an dem Singsang, in den er verfallen war. Hätte ich als Außenstehender diese Szene beobachtet, hätte ich wohl darüber gekichert. Aber als ich dort stand und die alte Sprache an meine Ohren drang, lief mir ein Schauer über den Rücken und eine merkwürdige Rührung ergriff mich. Es war mystisch und der feierlichste Moment, den ich je erlebt hatte.
Als er mich mehrmals umrundet und mit Weihrauch vollgequalmt hatte, wandte sich Pater Michael zum Altar um und kniete davor nieder. Mit geschlossenen Augen senkte er den Kopf und bekreuzigte sich. Dann erhob er sich und drehte sich wieder zu mir. „Jetzt sind Sie bereit,“ verkündete er und ließ die Schlüssel zur Kirche in meine Hände gleiten. Nun war ich endgültig in den Kreis der Wissenden aufgenommen worden.
„Pater Michael begleitete mich bei meiner ersten Patrouille,“ bemerkte ich.
„Ich dachte, er verlässt niemals die Kirche?“, warf Mister Meyers umgehend ein.
„Das dachte ich auch. Er kann die Kirche aber nicht für lange Zeit verlassen. Maximal für eine Stunde…,“ begann ich zu erklären, doch der Reporter fiel mir ins Wort.
„Wie? Nur für eine Stunde? Und was passiert, wenn er länger draußen bleibt? Verpufft er dann?“, wollte er wissen und wedelte mit den Händen vor dem Gesicht herum, als er versuchte, eine Explosion nachzuahmen.
Ich rollte mit den Augen. Sarkasmus konnte ganz schön anstrengend sein. „Pater Michael sagte mir, dass er maximal für eine Stunde weggehen kann, weil sein Leben an die Kirche gebunden ist. Würde er länger wegbleiben, würde er sterben,“ antwortete ich ihm.
„Er würde also einfach so tot umfallen?“, fragte der Reporter mich verwundert und schnipste mit den Fingern, um die Zeitspanne zu verdeutlichen, die er meinte.
Ich nickte.
„Aber wieso geht er das Risiko ein, Sie auf der ersten Jagd zu begleiten? Hat er keine Angst verletzt zu werden?“, fragte Mister Meyers.
„Er ist sich sicher, dass er nicht verletzt wird. Er ist so gut und wenn Sie ihn jemals kämpfen gesehen hätten, dann würden Sie es verstehen,“ erklärte ich und tat das Ganze mit einem Schulterzucken ab. Für mich war es nichts Besonderes, dass der Padre so sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt war. Seine Selbstsicherheit hatte schon damals aus jeder Pore seines Körpers gestrahlt, sodass ich mir nie Sorgen gemacht hatte.
„Und wenn er doch verletzt werden würde? Was würde dann passieren?“, bohrte der Reporter weiter nach.
„Das kommt ganz darauf an. Wenn er außerhalb der Kirche verletzt wird und es innerhalb der besagten Stunde zurück zur Kirche schafft, wird alles wieder gut. Aber wenn es eine ernste Verletzung ist und er müsste dort draußen irgendwo bewegungsunfähig liegen bleiben, könnte er sterben. In den Straßen dieser Stadt ist er wie jeder andere auch sterblich. Nur wenn er sich auf geheiligtem Boden befindet, kann ihm nichts passieren. Solange, wie er auf heiligem Boden steht oder diesen berührt, ist er sicher,“ beantwortete ich ihm seine Frage.
Mister Meyers versank in minutenlanges Schweigen und dachte über meine Erklärungen nach. Ich hatte den Eindruck, dass es ihn etwas verwirrte, und es war ersichtlich, dass er in seinem Kopf versuchte, die Fakten so anzuordnen, dass er es verstand. Auch mir war es oft schwergefallen alles zu begreifen, und es hatte einige Zeit gedauert. Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher