Die Jaegerin
da sie endlich vor ihm stand, waren alle Worte vergessen. Alles, was er wollte, war, sie in seine Arme zu schließen und sie zu bitten, ihn niemals wieder zu verlassen. Er trat einen Schritt auf sie zu. Catherine wich weiter an die Wand zurück. Ihre Augen zuckten umher, als suche sie nach einem Fluchtweg.
»Bist du verletzt?«, fragte er ruhig. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Blick ruhte jetzt wieder auf ihm. »Dann komm.« Daeron streckte ihr seine Hand entgegen. »Lass uns sehen, dass wir von hier fortkommen.« Als sie sich nicht rührte, griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich.
Den Blick wachsam auf die Umgebung gerichtet führte er sie aus dem Mary King’s Close zurück auf die Royal Mile, wo er eine Droschke heranwinkte. Daeron nannte dem Kutscher sein Ziel und half Catherine einzusteigen. Keiner sprach ein Wort. Dafür war später noch Zeit. Catherine erweckte ohnehin nicht den Eindruck, als würde sie viel von dem, was er sagte, wahrnehmen. Es war, als habe seine Gegenwart sie vollkommen erstarren lassen. Zumindest hatte sie ihm ihre Hand noch immer nicht entzogen.
Wenig später durchquerte die Droschke den Netherbow und erreichte das auf der anderen Seite der Stadtmauer gelegene Canongate. Schlagartig lag die erdrückende Enge Edinburghs hinter ihnen. Die Straßen wurden breiter, die Häuser kleiner und weniger dicht gedrängt. Schließlich bog der Kutscher in die Clyde Street ein und hielt vor dem Herrenhaus, das Daeron gemietet hatte. Er half Catherine auszusteigen und bezahlte den Kutscher. Als er sich ihr wieder zuwandte, stand sie auf dem Gehweg und betrachtete das große Haus, dessen Eingangstür von zwei Säulen flankiert wurde.
»Von innen ist es schöner«, meinte er und griff erneut nach ihrer Hand. »Komm, ich zeige es dir.« Mit der freien Hand öffnete er das schmiedeeiserne Tor, das das Grundstück von der Straße abtrennte, dann führte er sie über den kurzen Weg die vier Steinstufen hinauf zur Tür. Er schloss auf und bat sie herein.
In der geräumigen Eingangshalle blieb sie stehen und sah sich um. Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt, der Boden mit Parkett ausgelegt. Eine Treppe führte nach oben zu den weiteren Räumen. Unterhalb der Treppe gab es eine kleine Tür in der Vertäfelung, durch die man in den Keller gelangte. Daeron mochte das Haus. Lediglich die Einsamkeit machte ihm zu schaffen. Er sah zu Catherine. Jetzt bin ich nicht mehr allein. Er nahm ihr den nassen Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe. Sein Blick streifte die Schwingtür, die auf der rechten Seite der Halle in die Küche führte. Jenen Raum, den er bisher nur ein einziges Mal betreten hatte, als der Makler mit ihm das Haus besichtigt hatte.
Er griff erneut nach Catherines Arm und brachte sie in den Salon. Dicke Teppiche dämpften ihre Schritte. Das gleichmäßige Ticken einer großen Standuhr erfüllte die Stille, als wolle es den Herzschlag ersetzen, der ihnen fehlte.
»Setz dich.« Daeron deutete auf ein wuchtiges Sofa, das zusammen mit zwei Sesseln und einem massiven Eichentisch das Zentrum des Raumes einnahm. Er wartete einen Moment. Als er sah, dass sie seiner Aufforderung folgte, wandte er sich dem Kamin zu und entfachte ein Feuer. Es war nicht nötig, denn weder er noch Catherine vermochten es, Kälte zu spüren. Trotzdem hatte er diese Gewohnheit beibehalten. Er fühlte sich dadurch ein wenig menschlicher.
Sobald die Flammen knisternd emporschlugen, wandte er sich erneut Catherine zu. Sie wirkte verloren, wie sie da inmitten des wuchtigen Sofas saß. Wieder konnte er nichts weiter tun, als sie anzusehen. Während er sich so stark fühlte wie niemals zuvor, wirkte sie, als hätte die Kreatur in ihr nicht mehr verändert, als dass sie ihr das Leben genommen und den Blutdurst gebracht hatte. Zweifelsohne hatte Catherine schärfere Sinne als ein Mensch, doch von der Kraft und den Fähigkeiten, die Daeron in sich spürte, schien sie weit entfernt zu sein. Sie wirkte kaum stärker als eine normale Frau. »Wann hast du das letzte Mal etwas zu dir genommen?«
Catherine sah ihn so lange schweigend an, dass er schon glaubte, sie würde nicht antworten. Dann sagte sie: »Ich weiß nicht genau. Vor einer Woche vielleicht.«
Daeron ging zu der Anrichte, die hinter der Couch an einer Wand stand, und nahm eines der großen Kristallgläser. »Warte hier!«, sagte er und verließ den Salon.
Er öffnete die kleine Tür unter der Treppe und betrat einen schmalen Absatz, wo eine Lampe an einem Haken
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