Die Jaegerin
immer stieg kein Rauch aus der Wunde. Nichts! Da packte er die Klinge, zog sie mit einem Ruck aus seiner Brust und ließ sie fallen.
»Wenn Sie Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen wollen«, warnte er leise, »kommen Sie nicht noch einmal in die Nähe von Lauriston House. Halten Sie sich von uns fern! Wie Sie sehen, können Sie nichts ausrichten.« Er tat einen erneuten Schritt auf sie zu. Obwohl er nur unwesentlich größer war als sie selbst, kam Alexandra sich klein und hilflos vor. Sie spürte die hypnotische Macht seines Blicks, die sie lähmte und verhinderte, dass sie die Augen abwandte. Plötzlich hob er die Hand und strich mit kühlen Fingern über ihre Wange. »Nacht für Nacht sehe ich Sie in meinen Träumen und ich wusste, eines Tages würden sich unsere Wege kreuzen.« Leise, aber nicht weniger eindringlich fügte er hinzu: »Riskieren Sie nicht Ihr Leben.« Dann machte er kehrt und verließ die Kammer. Alexandra sank vor der Wand zu Boden und schlang zitternd die Arme um ihre Beine.
Vom Durst getrieben folgte Alexandra dem dunklen Gang. Ihre Eltern führten die Schenke, seit sie denken konnte. Sie war hier aufgewachsen. Jeder Zoll war ihr so vertraut, dass sie kein Licht benötigte. Barfuß und nur mit ihrem Nachtgewand bekleidet tappte sie die Stufen nach unten. Etwas fühlte sich anders an. Ungewohnt. Das Holz unter ihren Fußsohlen schien feucht und irgendwie rutschig. Um nicht auszugleiten, griff sie nach dem Geländer. Auch hier ertasteten ihre Finger Nässe. Einer der Gäste musste etwas verschüttet haben. Die Sorge, jeden Moment in die Scherben eines zerbrochenen Tonkrugs zu treten, verlangsamte ihren Schritt. Vorsichtig erkundeten ihre Zehenspitzen jeden Zoll der Treppe, bis sie den nächsten Schritt wagte. Es dauerte eine Weile, ehe sie das Ende der Treppe erreichte. Aber zumindest hatte sie sich nicht geschnitten. Mit schlafwandlerischer Sicherheit durchquerte sie den dunklen Schankraum. Obwohl das Feuer noch nicht lange erloschen sein konnte und die Nacht angenehm warm war, lag eine unangenehme Kälte über dem Raum. Auch hier fand sie immer wieder Stellen, an denen der Boden feucht und klebrig war. Die Männer, die heute Abend angekommen waren, hatten sichtlich noch eine ganze Weile dem Wein zugesprochen, bevor sie sich zur Ruhe begeben hatten. Für die Dauer eines erschreckenden Atemzugs fragte sie sich, ob noch einer von ihnen hier unten sein mochte. Ihr Vater hatte sie immer davor gewarnt, dass Männer etwas für junge Mädchen übrighatten. Obwohl sie nicht wirklich verstand, was er damit meinte, war ihr bewusst, dass er sich um ihre Sicherheit sorgte. Hatte einer der Reisenden etwas für sie übrig? Lauerte er ihr hier im Dunkeln auf, um … Um was? Alexandra schüttelte den Kopf. Niemand würde es wagen, ihr im Hause ihrer Eltern etwas anzutun. Sie brauchte nur um Hilfe zu schreien und in wenigen Augenblicken wäre das ganze Gasthaus auf den Beinen. Vater, Mutter, Bruder. Keiner von ihnen würde zulassen, dass ihr etwas zustieße.
Beruhigt betrat sie die Küche. Sie tastete nach Feuerstein und Zunder und entflammte den Docht einer Kerze, die neben dem Herd stand. Zuckendes Licht breitete sich über den Raum aus und griff nach den Schatten. Alexandra nahm einen Tonbecher von einem Regal neben dem Herd und sah sich nach dem Wasserkrug um. Dabei streifte ihr Blick über den Boden. Ihr stockte der Atem, als ihre Augen an einer großen Blutlache hängen blieben. Dann sah sie den zerbrochenen Weinkrug daneben und atmete auf. Hastig sammelte sie die Scherben ein, ehe sich jemand daran verletzen konnte. Den Boden würde sie morgen wischen. Sie füllte ihren Becher mit Wasser, leerte ihn mit großen Zügen und schenkte sich noch einmal nach. Mit dem Becher in der einen und der Kerze in der anderen Hand kehrte sie in den Schankraum zurück – und erstarrte. Der Becher entglitt ihren Fingern, fiel zu Boden und zerbrach. Die Schankstube versank in einem Meer von Blut. Es war überall. Auf dem Boden, den Tischen, den Wänden – ja sogar an der Decke. Auf der Schwelle zum Hinterzimmer lag der verrenkte Körper ihres Vaters, den starren Blick zur Decke gerichtet. In den Schatten hinter dem Treppengeländer machte sie eine Gestalt aus, die nur ihr Bruder Viktor sein konnte. Alexandra war nur wenige Zoll entfernt an ihm vorbeigegangen. Sein Blut war überall!
Wie gelähmt zuckten ihre Blicke umher, nahmen das Gewitter aus Tod und Blut in sich auf, ehe sie an einem schwarzhaarigen Mann hängen
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