Die Jagd beginnt
den Bäumen des Gartens zwitscherten die Graufinken.
Min lächelte. »Und du warst eine von denen, die uns die Schattenfreunde auf den Hals schickten, die die Schenke niederbrannten. Nein, mach dir keine Gedanken. Der Bote, der mich holen kam, brachte genug Gold mit, sodass Meister Fitch sie doppelt so groß wieder aufbaut. Guten Morgen, Elayne. Schwitzt du nicht über deinen Lektionen? Oder über einem Stapel Töpfen?« Sie sagte es neckend, wie unter Freundinnen, was durch Elaynes Lächeln bestätigt wurde.
»Ich sehe, dass es Sheriam noch nicht fertig gebracht hat, dich in ein Kleid zu stecken.«
Mins Lachen klang frech. »Ich bin keine Novizin.« Sie sprach mit übertrieben kieksiger Stimme. »Ja, Aes Sedai. Nein, Aes Sedai. Kann ich noch den Fußboden kehren, Aes Sedai? Ich«, sagte sie wieder mit ihrer normalen leisen Stimme, »ziehe mich so an, wie ich will.« Sie wandte sich Egwene zu. »Geht es Rand gut?«
Egwenes Mundpartie straffte sich. Er sollte die Hörner eines Hammels tragen wie ein Trolloc, dachte sie verärgert. »Es tut mir Leid, dass eure Schenke abbrannte, und ich bin froh, wenn Meister Fitch sie wieder aufbaut. Warum bist du nach Tar Valon gekommen? Es ist doch offensichtlich, dass du keine Aes Sedai werden willst.« Min zog eine Augenbraue hoch. Egwene war sicher, dass sie sich amüsierte. »Sie mag ihn«, erklärte Elayne.
»Ich weiß.« Min sah Egwene an, und für einen Augenblick glaubte Egwene, Traurigkeit – oder Bedauern? – in ihrem Blick zu entdecken. »Ich bin hier«, sagte Min vorsichtig, »weil man nach mir geschickt hat und mir die Wahl ließ, entweder herzureiten oder in einem Sack abtransportiert zu werden.«
»Du übertreibst wie immer«, sagte Elayne. »Sheriam Sedai hat den Brief gesehen, und sie sagt, es sei eine Bitte gewesen. Min kann Sachen sehen, Egwene. Deshalb ist sie hier: Damit die Aes Sedai herausfinden, wie sie das bewerkstelligt. Es ist nicht mithilfe der Macht.«
»Eine Bitte!«, schnaubte Min. »Wenn eine Aes Sedai deine Anwesenheit fordert, dann ist das wie der Befehl einer Königin, die hundert Soldaten ausschickt, um ihn zu vollstrecken.«
»Jeder sieht Sachen«, sagte Egwene.
Elayne schüttelte den Kopf. »Nicht so wie Min. Sie sieht … eine Aura … um einen Menschen herum. Und Bilder.«
»Nicht immer«, warf Min ein. »Und nicht bei jedem.«
»Und sie kann daraus Dinge über dich herauslesen, obwohl ich nicht sicher bin, dass sie immer die Wahrheit sagt. Sie sagte, ich würde meinen Mann mit zwei anderen Frauen teilen, und das würde ich nie hinnehmen. Sie lacht nur und sagt, sie habe auch eine andere Vorstellung von der Ehe gehabt. Aber sie sagt auch, ich würde einmal Königin, bevor sie wusste, wer ich war. Sie behauptet, sie habe eine Krone gesehen, und es sei die Rosenkrone von Andor gewesen.«
Unwillkürlich fragte Egwene: »Was siehst du, wenn du mich anblickst?«
Min schaute sie an. »Eine weiße Flamme und … Ach, alle möglichen Sachen. Ich weiß nicht, was es bedeutet.«
»Das sagt sie ziemlich oft«, meinte Elayne trocken. »Eines der Dinge, die sie bei mir gesehen haben will, ist eine abgeschlagene Hand. Nicht meine, sagt sie. Und sie behauptet auch hierbei, sie wisse nicht, was es bedeutet.«
»Weil ich es nicht weiß«, beharrte Min. »Ich weiß bei der Hälfte aller Dinge nicht, was sie bedeuten.«
Das Knirschen von Stiefeln auf dem Gartenweg schreckte sie auf. Zwei junge Männer kamen auf sie zu. Sie trugen die Hemden und Mäntel über dem Arm, sodass man ihre verschwitzten Oberkörper sah, und in den Händen hielten sie Schwerter, die in ihren Scheiden steckten. Egwene sah sich plötzlich dem bestaussehenden Mann gegenüber, den sie je erblickt hatte. Er war groß und schlank, machte dabei einen harten Eindruck und bewegte sich mit der Grazie einer Raubkatze. Ihr wurde plötzlich klar, dass er sich über ihre Hand beugte – sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er ihre Hand genommen hatte –, und sie suchte im Geist nach dem Namen, den sie gehört hatte.
»Galad«, murmelte sie. Seine dunklen Augen blickten in ihre Augen. Er war älter als sie. Älter als Rand. Beim Gedanken an Rand zuckte sie zusammen und fing sich wieder.
»Und ich bin Gawyn …« – der andere junge Mann grinste offen –, »… da ich nicht glaube, dass Ihr beim ersten Mal hingehört habt.« Min lächelte auch, und nur Elayne runzelte die Stirn.
Egwene erinnerte sich plötzlich an ihre Hand, die Galad immer noch hielt, und sie zog sie
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