Die Jagd beginnt
Kinderfrau.« Sie begann ihr Haar auszubürsten, wobei sie das Gesicht der verfilzten Stellen und der Kletten wegen schmerzhaft verzog. »Aber wie können wir ihnen helfen, Nynaeve? Wenn du zornig bist, dann bist du vielleicht genauso stark wie eine der ausgebildeten Schwestern, aber sie haben ebenfalls Frauen, die die Macht einsetzen können. Ich kann nicht glauben, dass es Aes Sedai sind, doch sie könnten es sehr wohl sein. Wir wissen nicht einmal, in welche Richtung sie geritten sind.«
»Nach Westen«, sagte Nynaeve. »Dieses Biest Suroth hat Falme erwähnt, und das ist der westlichste Punkt der Toman-Halbinsel. Wir reiten also nach Falme. Ich hoffe, Liandrin ist auch dort. Ich werde sie den Tag verfluchen lassen, an dem ihre Mutter ein Auge auf ihren Vater warf. Aber zuerst müssen wir uns einheimische Kleidung besorgen. Ich habe Frauen aus Tarabon und Doman in der Burg gesehen, und was sie tragen, sieht ganz anders aus als unsere Mode. In Falme würden wir sofort als Fremde auffallen.«
»Ich hätte nichts gegen ein Domanikleid einzuwenden. Natürlich, Mutter würde einen Wutanfall bekommen, wenn sie wüsste, dass ich eines getragen habe, und Lini würde mich schon vorher in die Mangel nehmen. Aber selbst wenn wir ein Dorf erreichen: Wie könnten wir uns neue Kleider leisten? Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld du dabei hast, aber ich habe nur zehn Goldstücke und vielleicht das Doppelte in Silber. Das reicht für zwei oder drei Wochen, aber was danach kommt, weiß ich nicht.«
»Auch nach ein paar Monaten als Novizin in Tar Valon hast du noch nicht aufgehört, wie die Erbin eines Throns zu denken«, lachte Nynaeve. »Ich habe nicht den zehnten Teil von dem, was du hast, aber zusammen kommen wir damit zwei oder drei Monate bequem aus. Wenn wir sparsam sind, reicht es länger. Ich habe nicht die Absicht, Kleider für uns zu kaufen, und schon gar keine neuen. Mein graues Seidenkleid wird uns behilflich sein – bei all den aufgestickten Perlen und den Goldfäden. Wenn ich keine Frau finden kann, die uns dafür zwei oder drei gute, haltbare Kleider gibt, dann schenke ich dir diesen Ring und spiele künftig die Novizin.« Sie schwang sich in den Sattel und streckte die Hand aus, um Elayne hinter sich aufs Pferd zu ziehen.
»Was machen wir, wenn wir in Falme sind?«, fragte Elayne, als sie sich hinter Nynaeve setzte.
»Das weiß ich erst, wenn wir dort sind.« Nynaeve hielt ihr Pferd kurz an. »Bist du sicher, dass du mitkommen willst? Es wird gefährlich.«
»Gefährlicher als für Egwene und Min? Wenn wir verschleppt worden wären, würden sie auf jeden Fall kommen, um uns zu helfen – das weiß ich. Sollen wir hier den ganzen Tag lang rumstehen?« Elayne hieb die Fersen dem Pferd in die Flanken, und die Stute trottete los.
Nynaeve ließ das Pferd so laufen, dass sie die Vormittagssonne im Rücken hatten. »Wir müssen vorsichtig sein. Die Aes Sedai, die wir kennen, wissen genau, wenn eine Frau in ihrer Nähe ist, die die Macht benützen kann. Diese Aes Sedai können uns auch in einer Menschenmenge finden, falls sie nach uns suchen, und davon sollten wir besser ausgehen.« Sie haben auf jeden Fall nach Egwene und mir gesucht. Aber warum nur? »Ja, wir müssen auf der Hut sein. Du hattest auch vorhin Recht. Wir nützen ihnen nichts, wenn wir uns selbst einfangen lassen.« Elayne schwieg einen Augenblick lang. »Glaubst du, es war alles gelogen, was uns Liandrin über Rand und irgendeine Gefahr erzählt hat, Nynaeve? Und über die anderen? Aes Sedai lügen nicht.«
Nun war es an Nynaeve zu schweigen. Sie dachte an Sheriam und die Eide, die jede Frau leisten musste, bevor sie zur Schwester erhoben wurde, Eide, die man auf ein Ter’angreal schwören musste und die absolut bindend waren. Kein unwahres Wort auszusprechen. Das gehörte dazu, doch jedermann wusste, dass die Wahrheit, von einer Aes Sedai ausgesprochen, nicht unbedingt der Wahrheit entsprach, die man zu hören glaubte. »Ich schätze, dass sich Rand wohl gerade die Füße an Lord Agelmars Kamin in Fal Dara wärmt«, sagte sie. Ich kann mir jetzt nicht auch noch um ihn Sorgen machen. Ich muss an Egwene und Min denken. »Na ja, wahrscheinlich«, seufzte Elayne. Sie rutschte hinter dem Sattel herum. »Nach Falme ist es sehr weit, Nynaeve. Ich möchte wenigstens die Hälfte der Zeit im Sattel reiten. Hier hinten ist es nicht gerade bequem. Und wir werden Falme überhaupt nicht erreichen, wenn du das Pferd die ganze Zeit so gemütlich einherschreiten
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