Die Jagd beginnt
gleichen Tonfall fuhr sie fort: »Was ist, wenn Logain der richtige war? Er konnte die Macht kontrollieren, bis ihn die Roten zur Weißen Burg brachten und wir ihn einer Dämpfung unterzogen. Mazrim Taim, der Mann in Saldaea, kann es auch. Was, wenn er es ist? In Saldaea halten sich bereits Schwestern auf. Zu dieser Zeit ist er vielleicht schon bezwungen. Was ist, wenn wir uns von Beginn an geirrt haben? Was geschieht, wenn der Wiedergeborene Drache gedämpft wurde, bevor die Letzte Schlacht begonnen hat? Selbst Prophezeiungen können danebengehen, wenn der, den sie angekündigt haben, getötet oder gedämpft wird. Und dann stehen wir dem Dunklen König hilflos gegenüber.«
»Keiner von den beiden ist der richtige, Siuan. Das Muster verlangt nicht nach einem Drachen, sondern nach dem einen wahren Drachen. Bis er sich erklärt, wird das Muster weitere falsche Drachen hervorbringen, doch danach wird es keine mehr geben. Falls Logain oder der andere der richtige gewesen wäre, gäbe es nun keine anderen.«
»›Denn er wird kommen wie der anbrechende Morgen und die Welt erneut mit seinem Kommen zerschmettern und sie neu erschaffen.‹ Entweder stehen wir ihm hilflos gegenüber, oder wir halten uns an einen Schutz, der uns verbrennen wird. Licht, hilf uns allen!« Die Amyrlin schüttelte sich. Ihr Gesicht wirkte, als habe sie sich auf einen Schlag vorbereitet. »Du konntest vor mir nie verbergen, was du denkst, so wie du es vor anderen verbirgst, Moiraine. Du hast mir mehr zu sagen, und zwar nichts Gutes.«
Moiraine nahm die Ledertasche von ihrem Gürtel und stellte sie auf den Kopf. Der Inhalt ergoss sich auf den Tisch. Es schien nur ein Häufchen zerschlagener Keramik zu sein, glänzend schwarz und weiß gefärbt.
Die Amyrlin berührte neugierig eine Scherbe, und ihr stockte der Atem. »Cuendillar.«
»Herzstein«, stimmte Moiraine zu. Das Herstellungsverfahren von Cuendillar war bei der Zerstörung der Welt verloren gegangen, aber alles, was aus Herzstein bestand, hatte den Weltuntergang überstanden. Selbst die Objekte, die von der Erde verschlungen worden oder im Meer versunken waren, hatten es überstanden. So musste es auch sein. Keine bekannte Kraft konnte Cuendillar zerstören, wenn es fertig war. Selbst die Eine Macht, gegen Herzstein gerichtet, machte ihn lediglich stärker. Trotzdem hatte irgendeine Kraft dieses Stück zerbrochen.
Die Amyrlin setzte hastig die Stücke zusammen. Was daraus entstand, war eine Scheibe von der Größe einer Männerhand, zur Hälfte schwärzer als Pech, zur Hälfte weißer als Schnee. Die Farben wurden durch eine geschwungene Linie getrennt, die trotz des Alters nicht verblasst war. Das alte Symbol der Aes Sedai aus der Zeit, bevor die Welt zerstört wurde, als Männer und Frauen noch die Macht gemeinsam benützten. Die eine Hälfte wurde nun die Flamme von Tar Valon genannt, die andere Hälfte kritzelte man auf Türen, um die Bewohner eines solchen Hauses des Bösen zu beschuldigen, und man nannte es den Drachenzahn. Nur sieben solcher Scheiben waren angefertigt worden. Alles, was je aus Herzstein gemacht worden war, war in der Weißen Burg aufgezeichnet worden, und an diese sieben erinnerte man sich vor allem. Siuan Sanche starrte darauf, als habe sie auf ihrem Kopfkissen eine Viper entdeckt.
»Eines der Siegel vom Gefängnis des Dunklen Königs«, sagte sie schließlich zögernd. Es waren gerade diese sieben Siegel, über die die Amyrlin wachen sollte. Das Geheimnis, das man der Welt verborgen hatte, falls überhaupt jemals jemand daran dachte, war, dass keine Amyrlin seit den Trolloc-Kriegen mehr gewusst hatte, wo sich die Siegel befanden.
»Wir wissen, dass sich der Dunkle König wieder rührt, Siuan. Wir wissen, dass sein Gefängnis nicht für alle Zeiten versiegelt bleiben kann. Menschliches Werk kann niemals dem des Schöpfers gleichkommen. Wir wussten, dass er die Welt wieder berührt hat, wenn auch, dem Licht sei Dank, nur indirekt. Die Anzahl der Schattenfreunde wächst ständig, und was wir noch vor nur zehn Jahren als böse bezeichnet haben, scheint uns heute nur noch harmlos gegen das, was jeden Tag geschieht.«
»Wenn die Siegel brechen … Vielleicht haben wir gar keine Zeit mehr.«
»Wenig genug. Aber das wenige reicht vielleicht. Es muss reichen.«
Die Amyrlin berührte das zerbrochene Siegel, und ihre Stimme klang angespannt, als zwinge sie sich zum Sprechen: »Ich habe den Jungen gesehen – im Hof während der Willkommensfeier. Es gehört zu meinen
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