Die Jagd des Adlers
ratlos den Kopf. »Warum hast du es dann getan?«
»Ich habe versucht, ihn zu überreden, Yusef freizulassen.«
»Ich nehme an, er hat abgelehnt.«
»Das und noch einiges andere.« Cato wandte sich an Symeon. »Bannus hat mir gesagt, ich solle dich fragen, was mit Jehoshua am Ende geschehen ist.«
Symeon holte tief Luft und sah in die dunkelrote Flüssigkeit in seinem Glas. Ein langes Schweigen entstand. Macro fing Catos Blick auf und hob die Augenbrauen. Cato gab ihm mit einer Geste zu verstehen, er solle sich gedulden. Schließlich begann Symeon zu sprechen.
»Ich werde euch sagen, was passiert ist. Dann werdet ihr verstehen, warum zwischen Bannus und mir jetzt nur noch tiefer Hass herrschen kann. Ihr wisst bereits, dass wir beide Anhänger von Jehoshua waren, aber damals waren wir auch Freunde. Die besten Freunde. Wir waren wie Brüder. Es gab auch noch einen dritten Freund; von dem erzähle ich euch gleich. Wir schlossen uns der Bewegung an, weil Jehoshua in unseren Augen das Versprechen auf die Befreiung Judäas verkörperte. Als sich ihm mehr und mehr Menschen anschlossen, begannen einige zu behaupten, er sei der mashiah . Zuerst ignorierte er sie, aber nach einer Weile schien er an dieser Vorstellung Gefallen zu finden. Ich gestehe, dass ich ihn darin bestärkt habe. Heute schäme ich mich deswegen, wenn ich daran denke, was noch alles geschehen sollte. Doch wie auch immer: Die Prophezeiung, die den mashiah betrifft, ist ziemlich eindeutig. Er muss Jerusalem befreien, den Thron Davids besteigen und Judäa zum Sieg über den Rest der Welt führen.«
»Ein beachtliches Programm«, sagte Macro leise.
»Allerdings.« Symeon lächelte matt und fuhr fort: »Also brachen wir mit mehreren Tausend Anhängern zusammen nach Jerusalem auf. Alles begann recht gut. An den Straßen standen die Menschen, die uns hysterisch zujubelten und um den Segen für Jehoshua beteten. Es gelang uns, den Bezirk des großen Tempels zu besetzen. Jehoshua befahl, die Geldverleiher und Steuereintreiber aus dem Tempel zu vertreiben und ihre Unterlagen zu vernichten. Ihr könnt euch vorstellen, wie sehr das den Armen unter seinen Anhängern gefiel. Dann übernahmen wir die Waffenkammer der Tempelwachen. Zunächst ließen wir uns von der Begeisterung über die Ereignisse vollkommen hinreißen. Jetzt mussten wir nur noch dem Sanhedrin, also dem Hohen Rat und obersten Gericht, gegenübertreten und dessen Mitglieder davon überzeugen, sich auf unsere Seite zu schlagen und sich gegen die römische Garnison zu erheben.«
»Was hat die Garnison dagegen unternommen?«, unterbrach Macro. »Sie muss doch eingegriffen haben, nachdem ihr den Tempel erobert hattet?«
»Die Soldaten schlossen sich in Herodes’ Palast ein. Damals waren die Spannungen zwischen meinem Volk und den römischen Beamten auf dem Höhepunkt. Einige Jahre zuvor hatte es Unruhen gegeben, und der Prokurator wollte nichts riskieren, was die Lage weiter anheizen konnte. Also haben sie überhaupt nichts getan.«
Angewidert verzog Macro das Gesicht und lehnte sich zurück. »Ich hätte euch in kürzester Zeit in die Schranken gewiesen.«
»Ich kann mir durchaus vorstellen, dass du recht hast. Aber du bist nicht Pilatus. Sei’s drum. Der Sanhedrin weigerte sich, zu uns überzulaufen. Dazu musst du wissen, dass die Hohepriester aus den reichsten und mächtigsten Familien kamen und Jehoshuas Überzeugung nach die Judäer genauso sehr von Armut und Ausbeutung befreit werden mussten wie von der Tyrannei Roms. Er hatte angenommen, der Sanhedrin würde das Wohl des judäischen Volkes über das Interesse an der eigenen Geldbörse stellen, weshalb er diese Weigerung als schweren Rückschlag empfand. Irgendwie verlor er dadurch seinen Schwung. Plötzlich erklärte er, dass es uns unmöglich wäre, den Kampf durch Waffengewalt zu gewinnen. Vielmehr sollten wir im Streit der Meinungen den Sieg davontragen. Wir mussten die Schlacht um die Herzen und Köpfe unserer Gegner für uns entscheiden.«
»Herzen und Köpfe.« Macro lachte. »Wo habe ich das nur schon mal gehört? Scheiße, wann werden die Leute jemals begreifen … Tut mir leid, erzähl weiter.«
»Danke.« Symeon runzelte die Stirn, bevor er fortfuhr: »Als wir hörten, dass er eine ganz neue Richtung einschlug, waren wir entsetzt. Bannus und ich trafen uns insgeheim und kamen zum Schluss, dass er verschwinden musste. Die Bewegung brauchte einen entschlosseneren Anführer, oder es würde keinen Aufstand geben. Kein neues
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