Die Jagd des Adlers
Königreich Judäa. Also beschlossen wir, Jehoshua zu verraten, ihn den Behörden auszuliefern. Diese würden ihn unweigerlich hinrichten, und wir hätten einen Märtyrer und zugleich einen neuen Anführer.«
»Wen?«, fragte Cato. »Dich oder Bannus?«
»Mich. Doch Bannus sollte mein engster Vertrauter bleiben.«
»Da habt ihr euch aber als schöne Freunde erwiesen«, sagte Macro. »Wenn Jehoshua dich und Bannus zu Freunden hatte, welche Feinde brauchte er dann noch?«
»Du verstehst anscheinend nicht, Präfekt«, erwiderte Symeon in eindringlichem Ton. »Wir haben Jehoshua geliebt. Das taten wir alle. Aber wir liebten Judäa noch mehr. Wir mussten unser Volk retten. Was ist das Leben eines Menschen – gleichgültig, wie sehr er auch immer geliebt werden mag –, wenn man es gegen das Schicksal einer ganzen Nation abwägt?« Er hielt inne und nahm einen Schluck. »Also bereiteten wir eine Botschaft vor, in der wir den Behörden mitteilten, wo sie Jehoshua finden konnten. Es gab nur einen Mann, der uns so nahe stand, dass wir ihn mit der Aufgabe betrauen konnten, diese Botschaft zu überbringen – nämlich den dritten Freund, den ich vorhin erwähnt habe. Sein Name war Judas. Doch nicht einmal ihm wagten wir, den Inhalt unserer Nachricht mitzuteilen. Judas überbrachte sie also dem Sanhedrin. Jehoshua wurde festgenommen, verhört, gefoltert und hingerichtet. Seine Anhänger waren wie vor den Kopf gestoßen. Sie waren viel zu überrascht, um auf die Ereignisse zu reagieren. Noch bevor der Tag zu Ende ging, wimmelte es in den Straßen von römischen Soldaten, die die Aufwiegler festnahmen und entwaffneten und ihre Anhänger auseinandertrieben. Bannus und mir gelang es, durch die Abwasserkanäle zu fliehen. Sobald Jerusalem hinter uns lag, trennten wir uns. Er ging nach Norden, um den Kampf fortzuführen. Ich ging nach Süden, nach Petra. Eine Zeit lang war ich vollkommen isoliert und viel zu beschämt über das, was wir getan hatten, als dass ich für irgendetwas Interesse aufbringen konnte. Doch nach und nach baute ich mir ein neues Leben auf und begann zu reisen. Ich nahm meine Beziehungen zu den Überlebenden der Bewegung wieder auf, wie etwa zu Miriam. Zunächst war mir nicht klar, dass ich mich verändert hatte. Ich war jung und unerfahren gewesen und hatte damals noch nie an einer Schlacht teilgenommen. Wie konnte ich nur jemals glauben, dass wir in der Lage wären, die Legionen zu besiegen!« Er schüttelte den Kopf. »Die Kopflosigkeit der Jugend und der Zauber, den eine große Sache ausstrahlt, führen geradewegs in den Tod. Schließlich begriff ich, dass Jehoshua am Ende recht gehabt hatte: Wir konnten Rom nicht mit Schwertern besiegen, nur mit Worten, mit Ideen. Bannus hat das nie akzeptiert.«
»Und Judas?«, fragte Cato. »Was wurde aus ihm?«
Symeon senkte beschämt den Kopf. »Sobald ihm klar wurde, was die Botschaft enthalten hatte, erhängte er sich.« Symeons Stimme zitterte. »Das habe ich mir nie verzeihen können … So, jetzt kennt ihr meine Geschichte.« Abrupt erhob er sich, verbeugte sich knapp und ging rasch zurück ins Haus.
Macro sah ihm nach. Dann wandte er sich mit mitleiderfüllter Miene an Cato. »Die Geschichte dieser Region ist eine einzige endlose blutige Tragödie. Je schneller wir unsere Aufgabe erledigen und von hier verschwinden, umso besser. Mir reicht’s. Ich habe die Nase voll von allem. Und von allen.«
Cato antwortete nicht. Er dachte an Yusef. Mehr als je zuvor war er davon überzeugt, dass der Junge aus Bannus’ Gewalt befreit und zu Miriam zurückgebracht werden musste. Nur so war es möglich, den endlosen Kreislauf von Zerstörung und Verzweiflung in einem bescheidenen Rahmen zu unterbrechen.
Der Bote kam früh am Morgen. Macro und Cato nahmen gerade ein Frühstück aus Feigen und Ziegenmilch zu sich, als Symeon mit einem Lächeln aus dem Haus auf sie zutrat. »Der König hat sich einverstanden erklärt, uns Bannus auszuhändigen. Der parthische Prinz soll zurück in sein Reich eskortiert werden. Soldaten sind bereits zu dem Haus unterwegs, in dem sich Bannus und seine Freunde aufhalten. Sie haben den Befehl, die Männer festzunehmen.«
Ein Gefühl der Schwerelosigkeit erfüllte Catos Brust. »Dann ist es also vorbei.«
»Ja.« Symeon lächelte. »Es ist vorbei, und wenigstens vorläufig wird es ein wenig Frieden in Judäa geben. Der König hat darum gebeten, dass wir in den Palast kommen und die Angelegenheit in aller Form zu Ende bringen, sobald wir diese
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