Die Jagd des Adlers
Augen an. Cato stieg aus dem Sattel und führte sein Pferd zu einem der verkohlten Balken, die Miriams Sonnendach getragen hatten. Er band das Tier fest und ging langsam auf den Jungen zu.
»Yusef, weißt du, wo deine Großmutter ist?«, fragte er auf Griechisch.
Der Junge zögerte, bevor er antwortete, und schüttelte dann hastig den Kopf. »Sie ist nicht hier. Sie ist fortgegangen. Du kannst ihr nicht mehr wehtun, Römer.« Es war, als spucke er das letzte Wort aus, und Cato blieb einige Schritte von ihm entfernt stehen, um ihn nicht noch weiter zu beunruhigen.
»Ich will ihr nicht wehtun. Darauf gebe ich dir mein Wort, Yusef. Aber ich muss mit ihr sprechen. Bitte, sag mir, wo sie ist.«
Yusef starrte ihn einen Moment lang an, bevor er sich langsam erhob. Er deutete auf den Boden. »Warte hier. Rühr dich nicht von der Stelle. Versuche nicht, mir zu folgen.«
Cato nickte. Mit einem letzten, misstrauischen Blick auf den Römer drehte Yusef sich um und rannte davon, indem er um die Ecke des nächstgelegenen Gebäudes verschwand. Nichts regte sich. Das Dorf war so still wie die gewaltige Nekropolis, die sich außerhalb der Tore Roms zu beiden Seiten der Via Appia entlangzieht. Nicht gerade der beste Vergleich, dachte Cato ironisch und wandte sich den Habseligkeiten zu, die am Rand der Dorfstraße lagen. Abgesehen von einigen Kleiderbündeln und Kochtöpfen gab es mehrere Körbe voller Schriftrollen und das kleine Kästchen, auf dem Yusef gesessen hatte. Etwas an diesem Kästchen kam Cato bekannt vor, und dann fiel ihm ein, dass er es im Versteck unter Miriams Haus gesehen hatte. Was konnte so wertvoll daran sein, dass niemand es hatte sehen sollen? Seine Neugier war geweckt, und Cato spähte nach rechts und links, um sicher zu sein, dass niemand ihn beobachtete. Nach einem kurzen Zögern trat er darauf zu und ging davor in die Hocke, um es sich genauer anzusehen. Das Kästchen war recht einfach. Es gab keine Verzierungen, und der Verschluss war ziemlich simpel.
Das Geräusch näher kommender Schritte ließ ihn innehalten. Er stand rasch auf, als Miriam und Yusef um die Ecke kamen, doch die beiden konnten noch erkennen, dass er sich über ihre bescheidenen Besitztümer gebeugt hatte. Miriams Blick wanderte sofort zu dem Kästchen, während sie auf den Centurio zuging.
»Ich danke dir dafür, dass du das Wenige, was mir noch geblieben ist, nicht angerührt hast. Mein Sohn hat dieses Kästchen für mich gemacht. Das – und was sich darin befindet – ist das Einzige, was mich noch an ihn erinnert.«
»Es tut mir leid. Ich …« Cato starrte sie hilflos an und ließ dann beschämt seinen Kopf hängen. »Es tut mir leid.«
»Mein Enkel hat gesagt, dass du mit mir sprechen möchtest?«
»Ja. Wenn du es mir erlaubst.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dir sprechen will. Nicht, nachdem …« Miriam schluckte und deutete auf die verbrannten Überreste ihres Hauses.
»Das kann ich verstehen«, erwiderte Cato mit sanfter Stimme. »Es war falsch, dass der Präfekt das getan hat. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten.«
Miriam nickte. »Ich weiß. Aber es hat keinen Unterschied gemacht.«
»Was geschieht jetzt mit dir? Wohin wirst du gehen?«
Miriam blinzelte die Tränen fort, die in den Winkeln ihrer dunklen Augen hingen, und nickte vage in Richtung der Straße, aus der sie gekommen war. »Einer meiner Leute hat mir und meinem Jungen ein Zimmer zur Verfügung gestellt. Die Leute aus dem Dorf werden uns ein neues Haus bauen.«
»Das ist gut.« Cato neigte den Kopf leicht auf die Seite. »Du sprichst von deinen Leuten. Bist du ihre Anführerin?«
Miriam schob die Lippen vor. »In gewisser Weise. Sie sind Anhänger meines Sohnes, und deshalb bringen sie mir einige Achtung entgegen. Es ist fast so, als ob ich auch ihre Mutter wäre.« Sie lächelte matt. »Ich nehme an, sie sind einfach nur sentimental.«
Cato erwiderte ihr Lächeln. »Was immer auch der Grund sein mag, du hast ganz offensichtlich eine gewisse Macht über sie. Und anscheinend auch über Symeon und Bannus.«
Miriams Lächeln erstarrte, und sie sah Cato misstrauisch an. »Was willst du von mir, Centurio?«
»Ich will mit dir reden. Ich will verstehen, was vor sich geht. Ich muss mehr über deine Leute und über Bannus wissen, wenn wir seine Versuche, einen Aufstand anzuzetteln, vereiteln wollen. Um Leben zu retten. Viele Leben, von Römern und Judäern gleichermaßen.«
»Du willst meine Leute verstehen?«, entgegnete Miriam bitter. »Dann bist
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