Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
nicht infrage. Morgen Abend, zehn Uhr. Wenn du auch nur eine Minute zu spät kommst, nehmen wir Lisa in die Mangel.«
Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle von der Tonbandaufzeichnung erzählt. Doch im letzten Moment überlegte ich es mir anders.
»Noch Fragen, Anmerkungen oder Vorschläge?«
»Ich werde mich drum kümmern«, sagte ich und legte auf.
Danach schaltete ich den Rekorder ein und gab das Gespräch so gut es ging wieder. Jetzt rede ich schon über eine Viertelstunde mit diesem Ding. Das hat mich etwas beruhigt.
Immerhin hat mir Tom eine zweite Chance gegeben.
Wirklich nett von ihm, dass er mir erlaubt hat, den Jungen umzubringen. Aber ich werde nach Möglichkeit versuchen, ihn lebend zu schnappen. Dafür habe ich dann bei Mitch und Chuck bestimmt einen Stein im Brett. Aber nur, wenn das nicht zu riskant ist. Sonst ist er fällig.
Es könnte sich also doch noch alles zum Guten wenden. Wenn ich keinen Fehler mache, werden sie Lisa freilassen und mir verzeihen. Möglicherweise.
Es war ein kluger Schachzug, die Bänder nicht zu erwähnen. Sie sind das reinste Dynamit – und würden alle Brücken zwischen mir und ihnen einfach in die Luft sprengen. Wenn sie auch nur die leiseste Ahnung von den Bändern bekommen, gibt es kein Zurück mehr. Dann heißt es: Sie oder ich.
Und sie sind deutlich in der Überzahl.
Das Problem ist, dass ich Jody für mich allein haben will.
Eines der Probleme. Das andere wird sein, überhaupt in ihre Nähe zu kommen, wenn sie wirklich »besser bewacht wird als unser verdammter Präsident«.
Das könnte ins Auge gehen.
Andererseits – wenn ich sie nicht schnappe, wird die ganze Sache in einer Katastrophe enden. Die Jungs werden sich nicht mit Lisa zufriedengeben. Danach sind
meine Schwestern dran und so weiter. Auf mich werden sie natürlich auch Jagd machen.
Trotzdem – ich will sie.
Tom will sie lebend, aber er hat nicht gesagt, dass sie unbedingt taufrisch sein muss. Im Prinzip kann ich fast alles mit ihr anstellen, bevor ich sie ihm ausliefere.
Jetzt ist aber Schluss mit dem Gequatsche. Die Arbeit ruft.
Mann, langsam werde ich richtig nervös.
Auf in den Kampf.
TEIL FÜNF
Verschollen in Indio
23
Das Telefon klingelte dreimal, bevor Jody abhob. Ob es Rob war? Sie hatten sich vor drei Tagen im Einkaufszentrum getroffen und seitdem nicht mehr gesehen. Sie vermisste ihn. Aber was sollte sie sagen? Sollte sie ihm von den Morden erzählen? Besser nicht. Dad würde es bestimmt nicht gefallen, wenn …
»Hallo?«
»Wilson Spaulding hier. Ich will mit deinem Vater sprechen. « Der seltsame kleine Mann klang nicht mehr so energisch. Eher wütend. Oder ängstlich.
»Hier spricht Jody, Mr Spaulding. Ist etwas passiert?«
»Da hast du verdammt recht, es ist etwas passiert. Und jetzt gib mir deinen Vater.«
»Was ist denn passiert?«
»Würdest du bitte tun, was ich dir sage, junge Dame?«
»Dad ist nicht im Haus.«
»Wage es nicht, mich anzulügen.«
»Das ist nicht gelogen, Mr Spaulding. Er musste plötzlich weg. Wie geht es Andy?«
»Das weiß ich leider nicht. Ich kann nicht glauben, dass dich Jacko allein gelassen hat. Du solltest doch unter ständiger Beobachtung stehen. Das ist doch nicht …«
»Ich bin nicht allein. Weshalb wissen Sie nicht, wie es Andy geht?«
»Weil er verschwunden ist. Abgehauen, weg. Puff, einfach so.«
»Was?«
»Der kleine Scheißer hat sich aus dem Staub gemacht.«
»Er ist weg ?«
»Bist du taub?«
Jody war kurz davor, in die Luft zu gehen. Nicht!, warnte sie sich. Sonst legt der Trottel auf, und ich bin so schlau wie vorher. »Mein Vater wird so viele Details wie möglich wissen wollen«, sagte sie und bemühte sich, höflich zu sein. »Was soll ich ihm denn sagen, Mr Spaulding? Er kann ziemlich ungehalten werden, wenn ich ihm nicht ordentlich Bericht erstatte.« Eine glatte Lüge, aber das konnte Willy ja nicht wissen. »Bitte.«
»Wann kommt er denn zurück?«
»Das weiß ich nicht genau. Das könnte schon noch eine Stunde dauern.«
»In einer Stunde bin ich möglicherweise nicht mehr hier. Meine Geduld ist, wie man so schön sagt, am Ende.«
»Von wo aus rufen Sie an, Mr Spaulding?«
»Von einer Texaco-Tankstelle in Indio.«
»Indien?«
»Nicht Indien. Indio.«
Hab ich doch gesagt, du Idiot. »Ach so, Indio. Verstehe.«
»Das ist ein kleines Nest an der Interstate 10 …«
»In der Nähe des Saltonsees, stimmt’s? Da war ich schon mal. Also, Sie rufen von einer Tankstelle aus an. Und Andy ist
Weitere Kostenlose Bücher