Die Jagd nach dem Meteore
»packend« als diese anstößige und doch im einzelnen einander widersprechende Gesichtsbildung; ein massiges, viereckiges Kinn, ein großer Mund mit wulstigen Lippen, eine starke Stumpfnase, schlecht geränderte Ohren, die vor der Berührung mit dem Schädel entsetzt zu fliehen schienen… alles das erinnerte nur sehr indirekt an die Schönheit eines Antinous. Die Stirn dagegen war vorzüglich geformt, hatte wunderbare edle Linien und krönte das seltsame Gesicht wie ein Tempel auf einem Hügel. Um, wer ihn kannte, noch mehr zu verblüffen, zeigte Zephyrin Xirdal unter der mächtigen Stirn zwei große, stechende Augen, die je nach Zeit und Gelegenheit eine wunderbare Intelligenz und eine dickfellige Dummheit verrieten.
Geistig unterschied er sich nicht weniger von der Trivialität seiner Zeitgenossen.
Widerspenstig gegen jeden regelrechten Unterricht, hatte er von frühester Jugend an beschlossen, sich selbst zu belehren, und seine Eltern hatten sich genötigt gesehen, sich seinem unbezwinglichen Willen zu fügen. Die Folgen davon waren auch nicht gerade schlecht. In einem Alter, wo man noch gewöhnlich in niedrer Klasse die Schulbank drückt, hatte sich Zephyrin Xirdal – zum Spaße, wie er sagte – an allen höheren Schulen nacheinander zu den Prüfungen angemeldet und dabei immer einen Preis davongetragen.
Diese Erfolge wurden freilich kaum erreicht, auch schon wieder vergessen. Die hohen Schulen mußten eine nach der andern aus ihren Besucherlisten diesen Preisträger streichen, der sich bei ihnen später nicht mehr sehen ließ.
Das Ableben seiner Eltern hatte ihn mit achtzehn Jahren zum eignen Herrn und zum Besitzer einer Rente von fünfzehntausend Francs gemacht. Zephyrin Xirdal zögerte da nicht, jede Vollmacht, die er verlangte, seinem Vormund und Paten, dem Bankier Robert Lecoeur zu erteilen, den er von kindlicher Gewohnheit her »seinen Onkel« nannte. Aller Sorgen ledig, bezog er dann zwei winzige Zimmer im sechsten Stockwerke eines Hauses der Rue Cassette in Paris.
Hier wohnte er auch noch in seinem einunddreißigsten Jahre.
Seit er sich da aber häuslich niedergelassen hatte, waren die Räume nicht gewachsen, so gewaltig auch die Menge der Dinge war, die er darin angehäuft hatte. Bunt durcheinander lagen da Maschinenmodelle und elektrische Batterien, Dynamos, optische Instrumente, Retorten und die verschiedensten andern Apparate. Ganze Pyramiden von Broschüren, Büchern und Papieren reichten vom Fußboden bis zur Decke und lagen ebenso auf dem einzigen Stuhle und dem Tische, dessen Niveau sie in gleichem Verhältnis erhöhten, so daß unser Original die Veränderung gar nicht bemerkte, wenn er auf dem einen saß und auf dem andern schrieb. Höchstens wenn ihn alte Papiere gar zu sehr belästigten, half er dieser Unbequemlichkeit mühelos ab. Mit dem Handrücken schob er einige Stöße vom Tische hinunter und setzte sich dann in friedlichster Stimmung an den Tisch, der jetzt in schönster Ordnung war, weil nichts mehr darauf lag, und der nun wieder auf eine neue Überfüllung wartete.
Was machte nun eigentlich Zephyrin Xirdal?
Hauptsächlich, das ist nicht zu leugnen, hing er seinen Träumereien nach und rauchte dazu ununterbrochen eine Pfeife guten Tabak. Zuweilen aber, in sehr verschiedenen Zwischenräumen, hatte er auch einen Gedanken. Heute brachte er seinen Tisch auf seine Weise in Ordnung, d. h. er fegte ihn mit der Hand rein ab und setzte sich dann daran fest, um nicht wieder aufzustehen, bevor eine gewisse Arbeit vollendet wäre, mochte sie nun vierzig Minuten oder vierzig Stunden in Anspruch nehmen. Nachdem er den Schlußpunkt daran gesetzt hatte, ließ er das Blatt mit dem Ergebnis seiner Untersuchung als den Anfang einer neuen Papiersäule auf dem Tische liegen, von wo es, wie die früher vorhandene, bei Gelegenheit der nächsten Arbeitskrise ebenso hinuntergefegt werden würde.
Bei diesen einander nur in unregelmäßigen Zwischenräumen folgenden Krisen hatte er sich ein wenig so mit all und jedem beschäftigt. Die höhere Mathematik, die Physik, Chemie, Physiologie, Philosophie – die reinen und die angewandten Wissenschaften – alles hatte nacheinander seine Aufmerksamkeit erweckt. Um welches Problem es sich auch handeln mochte, immer griff er es mit größtem Eifer, ja mit einer wahren Wut an, und hatte es vor seiner Lösung niemals aufgegeben. so lange nicht…
Nun ja, so lange ihm nicht ein andrer Gedanke kam, der ihn plötzlich ebenso mächtig anzog. Da konnte es dem
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