Die Jagd nach dem Meteore
phantastischen Eiferer passieren, daß er sich bei der Verfolgung des zweiten Schmetterlings, der ihn durch seine glänzenden Farben berückte, in das Gebiet der reinen Schimäre verirrte und berauscht von dem neuen Traum seine früheren vollständig vergaß.
Im vorliegenden Falle traf das aber nicht ganz zu. Als er die zuerst entworfene Arbeit zufällig wiederfand, ging er mit neuerwachter Leidenschaft wieder daran, und es gelang ihm, wenn auch erst nach zwei, drei weitern Unterbrechungen, sie wirklich zu Ende zu führen.
Du willst also die Feuerkugel, wie man sagt, ausschlachten?… (S. 111.)
Wie viele geistreiche oder tiefe Gedanken, wie viel entscheidende Bemerkungen über die größten Schwierigkeiten der exakten oder experimentellen Wissenschaften, wie viele praktische Erfindungen schlummerten in den Haufen von Papieren, die Zephyrin Xirdal verächtlich mit dem Fuße durchwühlte. Nie hatte er daran gedacht, aus diesen Schätzen Nutzen zu ziehen, außer wenn einer seiner wenigen Freunde sich vor ihm über die Erfolglosigkeit einer Untersuchung in irgendwelchem Fache beklagte.
»Warte einmal, sagte dann Xirdal, darüber muß sich etwas hier darunter finden!«
Gleichzeitig streckte er dann schon die Hand aus, ergriff auf den ersten Anlauf mit wunderbarem Spürsinn unter tausend mehr oder weniger zerknitterten Blättern das, das seine Studien über die betreffende Frage enthielt, und übergab es ohne Zögern seinem Freunde mit der Ermächtigung, davon unbeschränkten Gebrauch zu machen. Niemals war ihm dabei der Gedanke gekommen, daß er durch diese Handlungsweise seine eignen Interessen schädigen könnte.
Geld? Was kümmerte ihn das? Wenn er Geld brauchte, ging er einfach zu seinem Paten, dem Herrn Robert Lecoeur. War dieser auch nicht mehr sein Vormund, so war er doch noch sein Bankier, und Xirdal war sicher, nach einem Besuch bei ihm mit einer Summe versorgt zu sein, bis er sein Guthaben beim »Onkel« völlig erschöpft hätte. Seit er in der Rue Cassette wohnte, war das stets zu seiner vollen Zufriedenheit verlaufen. Sich immer erneuernde Wünsche zu haben und diese so leicht befriedigen zu können. das ist doch wirklich ein wahres Glück, immerhin aber nicht das einzige. Ohne den Schatten des kleinsten Wunsches war Zephyrin Xirdal vollkommen glücklich.
Am Morgen des 10. Mai saß dieser glückbegünstigte junge Mann bequem auf seinem einzigen Stuhle, rauchte, die Füße einige Zentimeter höher als der Kopf, auf einer Stützstange am Fenster liegend, eine besonders wohlschmeckende Pfeife und amüsierte sich, die Bilderrätsel und magischen Quadrate auf einem Papiersacke zu entziffern, den er von seinem Viktualienhändler beim Einkauf von Nahrungsmitteln erhalten hatte. Als diese wichtige Beschäftigung abgeschlossen und die Lösung der Unterhaltungsaufgaben gelungen war, warf er den Sack unter die andern Papiere und streckte dann seine linke Hand nachlässig nach dem Tische aus in der dunkeln Hoffnung, da irgend etwas zu finden.
Was die linke Hand da ergriff, war ein Paket noch unentfalteter Zeitungen. Zephyrin Xirdal nahm auf gut Glück eins dieser Blätter, das sich als eine schon acht Tage alte Nummer des »Journal« erwies. Ihr Alter konnte jedoch einen Leser nicht abschrecken, der sozusagen außerhalb von Raum und Zeit lebte.
Er warf also einen Blick auf die erste Seite, las sie aber natürlich nicht. Ebenso durchflog er die zweite und die andern Seiten bis zur letzten, wo ihn besonders die Annoncen interessierten. Als er dann glaubte, auf eine weiterfolgende Seite überzugehen, bekam er in aller Unschuld die erste wieder vor Augen.
Ohne sich etwas dabei zu denken, richtete er die Blicke auf den Anfang des ersten Artikels, und ein Lichtschein von Intelligenz blitzte aus seinen großen Pupillen hervor, die bisher nur die größte Gedankenlosigkeit verraten hatten.
Der Lichtschein wurde deutlicher, er wurde zur Flamme, je nachdem die bis ans Ende ununterbrochene Lektüre fortschritt.
»Halt!… Halt!… Halt!« murmelte in drei verschiedenen Tonlagen Zephyrin Xirdal, der sich gedrängt fühlte, den Artikel noch einmal zu lesen.
In der Einsamkeit seines Zimmers hatte er von jeher die Gewohnheit, laut mit sich selbst zu sprechen und das mit Vorliebe in der Mehrzahl, jedenfalls um sich die schmeichelhafte Vortäuschung eines an seinen Lippen hängenden Zuhörerkreises zu erwecken, eines nur gedachten Kreises, der recht groß sein mußte, da er alle Schüler, alle Bewunderer und alle
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