Die Jagd nach Millionen
nach aber hatte die
Gewohnheit eine Rinde um sein Herz gebildet, die indes vor diesem Angstblick
keinen Schutz gewährte.
»Ich bringe Sie in jede beliebige
Stadtgegend,« wiederholte er sanft.
»Nein, ich danke,« erwiderte sie, und er sah
einen leisen Hoffnungsstrahl in ihrem Blick – einen Strahl
der Hoffnung, daß er am Ende doch arglos sei und sie ihres
Wegs ziehen lassen werde!
»Nun, irgend wohin gehen Sie ja doch – also
steigen Sie ein,« sagte er dringlich und nahm ihr dabei die
schwarze Ledertasche einfach aus der Hand.
Sie widerstrebte auch nicht, sondern sah ihm nur angstvoll und
stehend in die Augen. Er hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Einsteigen
zu helfen, aber sie schwang sich ohne seinen Beistand in den Wagen.
»So, und welche Adresse soll ich dem Kutscher
angeben?« fragte er. »Mir ist's vollkommen
gleichgültig, in welcher Richtung Ihr Ziel liegt.«
Wieder sah er das schwache Fünkchen Hoffnung in ihrem
Blick aufflackern, gerade als ob sie sich sagte, daß sie am
Ende nur Gespenster gesehen habe.
»Charing Croß,« erwiderte sie mit
einem mühseligen Lächeln.
»Schön – Charing Croß,
Kutscher!« befahl Prickett.
Er setzte sich, die Ledertasche sorgsam auf den Knieen
haltend, neben sie. Diese Tasche war so leicht, daß man sie
für leer halten konnte, und nur mit der Klappe geschlossen,
Prickett strich spielend mit der Hand über den Bügel,
die Tasche sprang auf – seine eigene Geldkasse lag darin. Er
nahm sie heraus, warf einen Blick auf seine Gefährtin und
legte die Kasse wieder hinein. Frau Harcourt war in sich
zusammengesunken und verdeckte das Gesicht mit den Händen; ihr
ganzer Körper zitterte wie Espenlaub.
»Ich glaube, wir fahren lieber nicht nach Charing
Croß.« erklärte Prickett und rief dem
Kutscher den Befehl zu: »Nach Hause!«
Seine Gefangene verhielt sich schweigend, wenn das seltsame
Zittern nicht gewesen wäre und ihre Brust nicht so
stürmisch gewogt hätte, hätte man denken
können, sie schlafe. Er ärgerte sich über
sich selbst, daß ihm ihr Zustand solches Mitleid
einflößte.
»Du wirst dich doch durch ein Paar hübscher
Augen nicht aus dem Konzept bringen lassen, alter Esel?«
redete er sich im stillen an. »Sie drängt sich mit
schwindelhaften Empfehlungen ins Haus einer anständigen Frau,
ist die Helfershelferin eines der schnödesten Halunken unter
Gottes Sonne, nimmt ohne alle Ziererei deine Geldkasse an sich, weil
sie den Inhalt haben möchte – ein würdiger
Gegenstand des Mitleids, das muß man sagen, und nur ein
Schafskopf könnte da gerührt sein!«
Mit derartigen Schmeicheleien setzte er sich selbst den Kopf
zurecht, und als die Droschke vor seiner Wohnung hielt, war er beinahe
wieder mit sich selbst zufrieden. Er trennte sich von dem Kutscher ohne
die Förmlichkeit der Bezahlung, schloß selbst die
Hausthür auf und ließ die Witwe vorangehen. Sie
führte keinerlei hysterische Komödie auf, aber er sah
wohl, daß sie sich kaum auf den Füßen halten
konnte.
»Nun, Sie benehmen sich wenigstens
verständig,« bemerkte er, sobald sie sein Zimmer
erreicht hatten, »und ich will um Ihretwillen hoffen,
daß Sie's auch ferner thun werden. Ich habe ein paar Fragen an
Sie zu stellen und rate Ihnen, mir ehrlich Bescheid zu geben, denn
sobald Sie mir etwas weismachen wollten, müßte ich
ohne jede Schonung vorgehen. In erster Linie bitte ich um Ihren
Namen?«
»Marie Harcourt,« war ihre Antwort.
»So – dabei bleiben Sie? Nun, wenn Sie so
heißen, so ist's ja recht, aber wenn Sie glauben, mir ein X
für U vormachen zu können, so täuschen Sie
sich gründlich. Sie heißen also Marie
Harcourt?«
»Ja, so heiße ich.«
»Verheiratet oder ledig?«
»Ledig.«
»Also gut – Marie Harcourt, ledig.
– Wovon bestreiten Sie Ihren Unterhalt?«
»Ich bin mittellos.«
»Das kann nicht sein – wovon
würden Sie denn leben?«
Sie schwieg.
»Heraus mit der Sprache – wovon
ernähren Sie sich? Sie müssen einsehen, daß
Verstocktheit Ihre Lage nur verschlimmern kann! Ihr Schweigen ist im
höchsten Grade verdächtig, das liegt doch auf der
Hand; je verschlossener Sie sind, desto mehr reiten Sie sich
hinein.«
Prickett war nicht leicht in Verwunderung zu setzen, aber
Marie Harcourt bereitete ihm trotzdem eine Ueberraschung. Sie hatte den
Stuhl, den er ihr angeboten hatte, nicht angenommen, sondern war vor
ihm stehen geblieben, beide Hände gegen die Tischplatte
stemmend, als ob
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