Die Jagd nach Millionen
Erinnerung ein und die
Frage, wo er eigentlich sei. Er stöhnte laut und
fühlte sich seltsam schwach und leicht, bis er sich zu bewegen
versuchte und wieder sein Bleigewicht empfand.
Eine Uhr schlug die Viertel, alle nacheinander, und dann die
Stunde – drei Uhr. Es war dieselbe Uhr, deren schleppenden
Gang er in letzter Nacht verfolgt hatte. Jetzt fing sein Gehirn wieder
zu arbeiten an, und zwar energisch. Er befand sich noch in seinem
Gefängnis, aber seine Glieder waren nicht mehr gefesselt, und
er konnte sich frei bewegen, wenn auch mit Schwierigkeit.
Mühsam arbeitete er sich in sitzende Stellung und griff
unwillkürlich nach der Westentasche, wo er gewöhnlich
sein Feuerzeug trug – es war da. Jetzt ließ er die
Beine vom Bett herabhängen, da erfaßte ihn ein
Schwindel, daß er sich mit beiden Händen an die
Betttücher anklammern mußte und sich vorkam, als ob
er im kleinen Boot auf hoher See geschaukelt würde. Nun war's,
als ob ihn eine Strömung ergriffen hätte, die ihn
rasch dahintrieb, hob und senkte. Der Anfall ging vorüber und
er tastete auf dem Bett umher nach der Streichholzbüchse, die
ihm entfallen war.
Schließlich fand er sie auch und es gelang ihm
mühsam, ein Streichholz anzuzünden. Das flackernde
Lichtchen zeigte ihm den wohlbekannten Raum, enthüllte ihm
aber auch den merkwürdigen Umstand, daß dessen
Thür offen stand.
Pricketts geschwächtes und erregtes Gehirn spiegelte
ihm darin eine neue Gefahr vor. All sein Mut war dahin –
hinter der offenen Thüre lauerte ein Feind mit Dolch oder
Knüttel, der auf ihn losfahren würde, sobald er sich
hinauswagte. Die Treppen waren abgebrochen worden, er mußte
beim ersten Schritt unfehlbar in bodenlose Tiefen stürzen
– wessen man sich auch von einem heimtückischen
Feind versehen kann, stand leibhaftig vor ihm.
Das Zündholz verbrannte ihm die Finger und er warf es
weg. Jetzt drang die Dunkelheit mit neuem Grausen auf ihn ein, aber
angeborener und anerzogener Mut rührte sich und verscheuchte
die Gespenster. Eine Vorstellung drängte sich ihm auf
– nach der geöffneten Thür hinstarrend,
hatte sein Auge unbewußt das Bild eines Leuchters mit Kerze in
sich aufgenommen, der auf einem Tischchen neben dem Bett stand. Fast
eine Minute verstrich, bis er sich aufraffen konnte, die Hand danach
auszustrecken – es war kein Trugbild gewesen. Jetzt steckte
er die Kerze an: jede Bewegung kostete Schmerzen und die Hand zu heben
einen Kraftaufwand, als ob er zentnerschwere Hanteln gehoben
hätte. Er sah sich um und entdeckte auf einem Tisch am Fenster
seinen Hut, er griff in seine Taschen und fand Uhr, Börse,
Brieftasche. Das war im Grunde selbstverständlich, denn um
einen Raubmord hatte sich's ja nicht gehandelt.
Mit übermenschlicher Anstrengung schwankte Prickett
auf den Tisch zu und faßte seinen Hut. Er war auf der
Rückseite nahe am Rand scharf eingeknickt, und Prickett
begrüßte ihn als Lebensretter, denn der ganzen Wucht
des Schlages hätte sein Schädel sicher nicht
standgehalten. Er stülpte ihn auf, so gut es eben mit der
Geschwulst am Hinterkopf gehen wollte, und schleppte sich, den Leuchter
in der einen, mit der andern Hand an jedem Möbelstück
Halt suchend, zur Thüre hinaus. Jetzt stand er lauschend still
– nichts rührte sich. Ein inneres Gefühl
sagte ihm, das Haus müsse leer sein, aber seine Phantasie
gaukelte ihm immer wieder im Hinterhalt liegende Feinde vor. Unter
großen Schmerzen stieg er langsam Treppe um Treppe herab und
erreichte endlich die Diele. Alle Zimmerthüren im ganzen Haus
standen offen, die Hausthüre war nur ins Schloß
gedrückt.
Im nächsten Augenblick stand Prickett, immer noch die
Kerze in der Hand, auf der Straße; ein Windstoß hatte
die Thüre in seinem Rücken krachend zugeworfen.
Trotzdem es noch früh im Jahr war, lag ein leichter Schnee,
der, dem Schmelzen nahe, graue Flecken bildete. Prickett hielt sich an
dem Gitterwerk der Hausthüre fest und starrte vor sich hin;
die flackernde Kerze übergoß ihn und die
Treppenstufen mit Stearintropfen.
»Hallo!« rief eine befehlende Stimme.
»Was ist denn los?«
Ein Schutzmann stand wie aus der Erde gewachsen neben ihm.
»Großer Gott! Herr Prickett!« rief
der Mann.
Der Porzellanleuchter zerschellte klirrend auf dem
Fußsteig und Prickett sank dem Polizisten geradeswegs in die
Arme. Das Nächste, was ihm zum Bewußtsein kam, war,
daß er in einer Droschke saß und dann in ein
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