Die Jagd nach Millionen
Was haben Sie hier zu schaffen?«
»Meinen Namen kann ich Ihnen wohl sagen, was ich hier
zu schaffen habe, aber nicht. Ich heiße Harcourt und bin so
weit entfernt, Unrecht zu thun, daß ich im Gegenteil Tausende
und Tausende von Meilen hergereist bin, um ein furchtbares Unrecht, das
andre thun wollen, zu verhindern.«
»Schnickschnack! Wenn man das will, holt man die
Polizei!« erklärte die Irländerin.
»Und ich helfe ja der Polizei!« rief Marie
ungestüm, erschrak aber, soviel verraten zu haben, und setzte
hastig hinzu: »Sie scheinen ein braves, anständiges
Mädchen zu sein, und wenn Sie mir heilig versprechen wollten,
mich nicht zu verraten, würde ich Ihnen einen Auftrag geben,
der Ihnen zum Teil zeigen wird, was ich vorhabe. – Darf ich
Ihnen trauen?«
»Hm... ich mein', Sie sollten diesen Stiefel lieber
am andern Fuß anprobieren! Es handelt sich drum, ob ich Ihnen
trauen kann?«
»Ist hier ein Telegraphenamt?« fragte Marie.
»Versteht sich.«
»Ich hätte gleich bei meiner Ankunft
telegraphieren sollen, aber ich war zu elend und müde und
– ängstlich. Wollen Sie mir's besorgen?«
»Warum sollt' ich?«
»Es ist ein Telegramm an die Polizei in Vancouver,
der ich anzeigen will, daß ich hier bin. Ich hab's
versprochen.«
»Sie meinen wohl, die Polizei sei um Sie
besorgt?« versetzte das Mädchen mit
höhnischem Grinsen. »Das glaub' ich schier selber,
meiner Seel!«
»Gut,« sagte Marie mit verzweifeltem
Entschluß. »Schicken Sie nach der Polizei, aber
ruhig, daß niemand davon erfährt! Vor der Polizei
habe ich mich nicht zu fürchten, aber niemand außer
ihr darf wissen, daß ich hier bin. Wollen Sie selbst hingehen
und einen Brief von mir abgeben?«
»Und Sie da lassen? Ja, wenn ein Schloß an
der Thür wäre und ich den Schlüssel im Sack
haben könnte – anders nicht!«
»Was kann ich thun?« rief Marie
außer sich. »Halt, ja – Sie können
hingehen und mich ruhig hier lassen – wenn Sie meine Stiefel
mitnehmen! Weit werde ich bei diesem Wetter in Strümpfen nicht
kommen – ich wüßte auch gar nicht, wohin
ich gehen sollte! Vor morgen geht ja gar kein Zug –
überhaupt will ich nicht durchgehen, und wenn ich wollte, wie
sollte ich's angreifen? Wollen Sie also einen Brief von mir auf die
Polizei tragen und keinem Menschen etwas davon sagen?«
»Hm ... Ja, ich will den Brief hintragen, aber erst
die Stiefel herunter, bitt' ich mir aus!«
Marie entledigte sich der blöckischen Schuhe, die das
Mädchen gleich in die Hand nahm.
»Können Sie mir Schreibmaterialien
verschaffen?«
»Kann ich!« brummte sie, mit den Stiefeln
zur Thür hinausgehend.
In ihrer Abwesenheit trank Marie den Thee. Er war halb kalt
geworden, aber stark und bitter und gewährte doch einige
Belebung. Das Mädchen kam richtig mit einem beschmutzten,
zerknillten Briefbogen und Feder und Tinte zurück.
»Ein Couvert find' ich nicht,« sagte sie,
»da müßt' ich erst eins kaufen, aber da ist
eine Oblate, die thut's wohl auch?«
»Gewiß!« sagte Marie, sich gleich
ans Schreiben machend. Sie schrieb:
»Inspektor Prickett von der
englischen Polizei ist in Vancouver, wo er drei Männer
erwartet, für die er einen Haftbefehl in Händen hat.
Diese Männer sind hier in Edmonton. Ich habe mit Inspektor
Prickett verabredet, ihm deren Anwesenheit durch die Worte:
›Glücklich angekommen. Harcourt,‹
anzuzeigen. Ich übersende durch die Ueberbringerin zehn
Dollars und bitte, das Telegramm sofort abgehen zu lassen. Der
Behörde gegenüber bin ich zu jeder Auskunft bereit,
von höchster Wichtigkeit aber ist, daß das Geheimnis
meiner Anwesenheit hier streng gewahrt bleibt, bis die betreffende
Verhaftung erfolgt sein wird.
Marie
Harcourt.«
Während des Schreibens wäre sie beinahe
wieder in eine Schwäche verfallen. Der Kampf mit der
Widerborstigkeit des Dienstmädchens hatte sie erregt und
über ihren Zustand getäuscht; jetzt ward sie sich der
äußersten Erschöpfung wieder bewußt.
»Tragen Sie das auf die Polizei!« sagte sie
mit schwacher Stimme. »Sie dürfen es lesen, Wort
für Wort, aber – o, geloben Sie mir, es niemand
sonst zu zeigen, mit niemand darüber zu reden! Ich habe so
viel ausgestanden – alles wäre dann vergebens
– o, schwören Sie mir!«
»Das kann ich! Bei der heiligen Mutter Gottes will
ich schwören, daß niemand als die Polizei ein
Sterbenswörtchen davon erfahren soll.«
»Danke, danke!« hauchte Marie und fiel
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