Die Jagd nach Millionen
Anweisungen sind
pünktlich ausgeführt worden – ich hoffe,
Sie werden zufrieden sein.«
»Darf ich Sie mit den Herren bekannt machen, die an
unserm Ausflug teilnehmen?« Anise wurde als Major Jackson,
Vogel als Herr Spofforth vorgestellt.
Noch wußte der Mulattenjunge nicht genug. Die Gefahr
einer Entdeckung war übrigens sehr gering, denn Marie hatte
der Kälte wegen den wollenen Shawl bis über die Nase
hinaufgezogen, und der sackartige Ueberzieher ließ keine
weibliche Gestalt darunter vermuten. So blieb sie dicht bei der Gruppe
stehen.
»Und wann werden wir aufbrechen können,
Kapitän?« fragte Engel jetzt.
»Das läßt sich nicht augenblicklich
bestimmen, Herr Baron,« erwiderte Jones. »Jedenfalls
nicht vor morgen oder übermorgen, vielleicht auch erst
später, denn sehen Sie ...«
Er fing jetzt an, die einzelnen Maßregeln
aufzuzählen, die man noch zu treffen hatte, und die drei
Herren hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit und mit
Verständnis zu.
Marie wußte jetzt, was sie zu wissen brauchte, nahm
ihre Reisetasche auf und verließ das Bahnhofgebäude,
um sich nach einem Obdach umzusehen. Sie fand auch bald ein
entsprechendes Wirtshaus, dessen Schenkstube mit ländlicher
Bevölkerung angefüllt war und wo ein
gutmütig aussehendes Dienstmädchen angewiesen wurde,
ihr das verlangte Zimmer zu zeigen, freilich nicht, ehe sie sich
über ihre Zahlungsfähigkeit ausgewiesen hatte. Es war
in der Stadt nicht ganz so kalt wie zwischen den Bergen, doch war die
Luft feucht und winterlich und die Kälte doppelt empfindlich
nach dem überheizten Eisenbahnwagen. Marie war zu Tode
erschöpft und schwindelig, so daß sie nur mit
Mühe die Treppe hinaufkam.
»Das wird's wohl thun,« sagte die Magd, die
Thür eines ärmlichen Giebelstübchens
aufreißend. »So einer wie Sie kann sich's nicht
leisten, heikel zu sein.«
»Jawohl, es thut's,« erwiderte Marie, tief
aufatmend vor Erschöpfung. »Es ist ganz einerlei
– kann ich eine Tasse Thee haben?«
»Thä?« versetzte das
Mädchen. »Thä – sagen
Sie?«
Die Bestellung kam ihr offenbar höchst befremdlich
vor, aber Marie war für den Augenblick unfähig, sich
in acht zu nehmen. »Thä ist schon da, wenn Sie zahlen
können.«
»Dann bringen Sie mir ihn schnell,« sagte
Marie, auf einen Stuhl sinkend. »Mir ist nicht wohl
– wegen des Geldes brauchen Sie keine Angst zu
haben.«
Das Mädchen sah den wunderlichen Mulattenjungen, der
»Thä« haben wollte, neugierig an, ging aber
dann schweigend hinaus. Nach etwa fünf Minuten kam sie mit
einer dampfenden Schale ohne Untertasse.
»Zucker und Milch habe ich selbst
hineingethan,« sagte sie, indem sie die Schale auf ein
wackeliges Tischchen stellte. »Macht zehn Cent, wenn ich
bitten darf.«
Marie richtete sich mit Anstrengung auf und legte einen
Dollarschein auf das Tischchen.
»Hm ...« machte das Mädchen und
bemerkte dann: »Winzige Hände für so einen
Buben! Viel geschafft haben die nicht.«
Marie sah unsicher, geistesabwesend auf, ihr tanzte alles vor
den Augen, ihr Kopf sank zurück und sie verlor das
Bewußtsein. Es dauerte nur eine Minute, und als sie wieder zu
sich kam, saß sie noch auf ihrem Stuhl, aber der wollene Shawl
und der steife Hemdkragen waren ihr vom Hals gerissen worden und die
Magd hielt sie im Arm und drückte ihr Gesicht dicht an das
ihrige. Sie sah dabei so verdutzt und so neugierig drein, daß
Marie unter andern Umständen hätte lachen
müssen. Sobald sie sah, daß die Ohnmachtsanwandlung
vorüber war, richtete sie sich auf und stand nun, Mund und
Nase aufsperrend, vor dem Gast.
»Sie ... Sie sind ja gar kein Mannsbild nicht ...
Sie... Sie sind ja nicht einmal ein Nigger ... Sie sind ja ein
Fräulein!« stieß sie in Absätzen
heraus, um dann plötzlich in ganz anderm Ton fortzufahren:
»Sie, zu was verkleiden Sie sich denn, Sie? Zu nichts
Anständigem, will ich wetten! Wenn Sie mir's nicht gleich
sagen, hol' ich die Polizei, daß Sie's wissen!«
»Still!« rief Marie, wieder im Vollbesitz
ihrer Kraft. »Still! Halten Sie reinen Mund – es
soll Sie nicht gereuen!«
»Papperlapapp! Wenn Sie eine anständige
Person sind, lass ich Sie in Frieden, wenn's aber stinkt in der
Fechtschule, so werf' ich Sie zum Haus hinaus, und wenn Sie mir alles
Gold geben, das auf der Bank von Irland liegt!«
»Ich thue kein Unrecht,« versicherte Marie,
»wahrhaftig nicht!«
»Das kann sein, wie's will. Wie heißen Sie?
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