Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
töten. Die Frage ist nur, wann …
„Wir wissen, dass es ein Mann ist“, schloss er seine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse ab. „Wir wissen, dass dieser Mann über Räumlichkeiten verfügt, die es ihm erlauben, ein Kind über einen Zeitraum von achtundvierzig Stunden unentdeckt unterzubringen. Wir wissen ferner, dass er motorisiert ist und über gute Ortskenntnisse verfügt.“ Er tippte einen Befehl in die Tastatur seines Laptops, woraufhin Corinna Schillings Zeichnung an der gegenüberliegenden Wand aufflackerte. „Außerdem wissen wir, dass er die entführten Mädchen anfasst.“
„ Ein Mädchen“, korrigierte ihn Brüning. „Bislang hat er nur ein Mädchen angefasst. Falls es überhaupt derselbe Kerl ist.“
„Anders als bei Corinna können wir dieses Mal einen familiären Hintergrund von vorneherein ausschließen“, fuhr Verhoeven unbeirrt fort. „Die Jehningers sind wohlhabend, aber bislang haben wir keine Hinweise auf eine Lösegeldforderung oder dergleichen.“
„Also ein Perverser“, brummte Oskar Bredeney, der erst vor fünf Minuten eingetroffen war und sogleich neben Winnie Heller Platz genommen hatte, der er in väterlicher Zuneigung zugetan war. Er war ein kleiner, entschieden hässlicher Mann mit pockennarbigem Gesicht und spöttischen grauen Augen. Darüber hinaus war er ein alter Weggefährte von Verhoevens Mentor, ein Umstand, aus dem Oskar Bredeney eine Art persönliche Verantwortung für „den Kleinen“, wie Grovius seinen Schützling immer genannt hatte, abzuleiten schien, die sich in Form von vielen prüfenden Blicken und einer Packung Schnapspralinen jedes Jahr zu Weihnachten manifestierte.
„Sieht ganz danach aus“, bestätigte Verhoeven.
„Dann sollten wir uns vielleicht zunächst um die einschlägig Vorbestraften kümmern“, schlug Winnie Heller vor. „Vielleicht hat unser Mann eine Vorgeschichte.“
Werneuchen, ein blasser Beamter in Verhoevens Alter, der an ihrer anderen Seite saß und üblicherweise für Recherchen zuständig war, blickte von seinem Laptop hoch. „Wie weit fassen wir einschlägig?“
Verhoeven sah zu Brüning hinüber. „Irgendeinen Vorschlag?“
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Schwer zu sagen, in so einem Fall.“
Verhoeven nickte. „Wir werden zweigleisig vorgehen müssen“, entschied er. „Die üblichen Verdächtigen überprüfen und gleichzeitig die eingehenden Hinweise abarbeiten.“ Er trat an die Wandkarte, in der noch immer die Nadeln steckten, mit denen Winnie Heller die Stellen, an denen Edda Bender und Viola Krempinski zuletzt gesehen worden waren, markiert hatte. „Der Kindergarten, aus dem unser Mann Ann-Kathrin Jehninger entführt hat, liegt hier. Begrenzt wird das Gelände von einer viel befahrenen Straße im Süden und einem Streifen Brachland im Nordosten.“ Er ließ seinen Laserpointer über dem entsprechenden Gebiet kreisen. „Dahinter beginnt der Uhlenforst, ein etwa vier Hektar großes Waldgebiet.“ Er drückte auf Enter, und auf der Wand gegenüber tauchte Edda Benders Gesicht auf. „Dieses Mädchen verschwand dort im Sommer 1971“, berichtete Verhoeven. „Sie wurde …“
„Hey, Augenblick, was soll das jetzt?“, fiel Brüning ihm sofort wieder ins Wort. „Denkst du nicht, dass wir mit der kleinen Jehninger erst mal genug zu tun haben? Ich meine, es kann doch wohl nicht dein Ernst sein, dass wir uns jetzt auch noch mit diesen ollen Kamellen beschäftigen sollen, oder?“
Verhoeven verzog keine Miene. „Ich leite diese Ermittlungen, und aus eben diesem Grund liegt es auch in meinem Ermessen, womit wir uns beschäftigen“, stellte er klar.
„Aber …“
„Nein“, fiel er Brüning freundlich, aber entschieden ins Wort. „Nichts aber. Edda Bender verschwand im Sommer 1971 unter sehr ähnlichen Bedingungen wie sieben Jahre später ein weiteres Mädchen“, fuhr er fort, wobei er ganz bewusst Brünings Untergebene ansah. Doch die drehten die Köpfe weg. „Eddas Schuh wurde im Uhlenforst gefunden, interessanterweise aber erst einen Tag, nachdem das Gebiet von einem Dutzend Beamten mit Spürhunden durchsucht worden war. Und das legt unserer Ansicht nach die Vermutung nahe, dass der Täter den Schuh ganz gezielt dort deponiert hat, und zwar nachträglich.“ Er registrierte Winnie Hellers überraschten Blick, war sich jedoch nicht sicher, ob dieser sich auf seine Schlussfolgerung bezog oder auf die Tatsache, dass er sie so selbstverständlich in seine Formulierung einbezogen
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