Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Ein fataler Irrtum, wie sich herausgestellt hatte. Und noch immer verunstaltete die völlig unpassende Tönung der Nuance „Kupfergold“ die Spitzen ihrer Haare.
Sie blickte zum Wasser, das unter dem milchigblauen Himmel einen eigentümlich kühlen Grünton angenommen hatte. Kurioserweise war es ausgerechnet Lübke gewesen, der sie damals auf die richtige Spur gebracht, indem er nicht nur ihre natürliche Haarfarbe erraten, sondern ihr überdies auch eröffnet hatte, dass sie trotz ihrer grünlich anmutenden Augen und ihrer unübersehbaren Neigung zu hektischen Flecken dem „kühlen Farbtyp“ zuzuordnen sei. Winnie schmunzelte. Lübke wusste solche Dinge. Farbtypen. Häutungsstadien von Maden. Kartentricks. Wie man mit nichts als einem Stück Schnur und einem Stein ein Feuer machte.
Solche Dinge …
Sie trat auf den Steg und ließ sich mit einem wohligen Seufzer auf dem sonnenerwärmten Holz nieder. Einen Augenblick lang würde sie sich noch ausruhen, bevor sie notgedrungen wieder in ihren alten Polo ohne Klimaanlage steigen und sich auf den Rückweg machen musste. Ihre Puzzlearbeit hatte sie zunächst aufgegeben, nachdem sie registriert hatte, dass Lilli Dahl die Papierbögen beidseitig beschrieben hatte und sie das Geschriebene somit zuerst mühsam einer Vorder- beziehungsweise Rückseite zuordnen musste. Also hatte sie die Schnipsel und auch den merkwürdig verunglückten Papierschmetterling in das Kuvert zurückgeschoben und alles in die alte Lebkuchendose gepackt, in der Lübkes Leute Lilli Dahls Reisepass gefunden hatten.
Zu Hause würde sie die einzelnen Teile auf eine transparente Folie kleben, so dass Vorder- und Rückseite gleichermaßen zu lesen wären. Aber vorher musste sie unbedingt noch auf der Dienststelle vorbei und fragen, was die hiesigen Kollegen in Bezug auf Fennrichs Aktivitäten des vergangenen Dienstags herausgefunden hatten. Sie wusste, Verhoeven würde sich danach erkundigen. Womöglich noch heute Abend …
Sie blickte an sich hinunter und stellte erleichtert fest, dass sie nicht halb so schmutzig aussah, wie sie sich fühlte. T-Shirt und Hose hatten lediglich ein wenig Staub abbekommen, sah man von den drei bis vier Litern Schweiß einmal ab, die im Laufe des Nachmittags darin versickert sein mussten. Sehnsüchtig blickte sie auf die glitzernden Wellen hinaus. Zugleich musste sie wieder an Fennrich denken. Im Sommer geht er jeden Abend in den See, obwohl er weiß, dass ich es hasse , hatte Lilli in einem ihrer Briefe notiert. Zu keiner Zeit des Tages ist meine Angst größer ….
Winnie seufzte. Das kühle grüne Wasser …
Das kühle Wasser …
Das Wasser …
Sie sah sich gründlich um. Im Schilf neben ihr quakte ein Frosch. Zumindest klang es so. Und wenn sie einfach mal kurz …? Schließlich war niemand hier. Keine Seele weit und breit. Nur ein paar Frösche. Und Fliegen. Und … Na gut, jede Menge Mücken. Aber die zählten nicht! Kurzentschlossen streifte sie ihre Slipper von den Füßen und tauchte die Beine bis zur halben Wade in das schimmernde Nass, das ihre Zehen mit einem verführerischen Gluckern umschmeichelte. Wie lange war es eigentlich her, dass sie geschwommen war? Fünf Jahre? Sechs?
Sie würde natürlich die Unterwäsche ausziehen müssen, aber was machte das schon? Sie war ja allein. So allein wie Lilli hier draußen oft gewesen war. Und im Gegensatz zu Lilli hatte sie keine Angst vor dem See ...
„Was soll’s“, murmelte sie. Verhoeven machte sich schließlich auch einen schönen Nachmittag, da war es nur recht und billig, wenn sie sich nach getaner Arbeit ein kurzes Bad gönnte!
Entschlossen schlüpfte sie aus ihren Kleidern und legte die Sachen neben die Lebkuchendose auf den Steg. Nackt zu sein, sozusagen mitten in freier Wildbahn, kam ihr zunächst ein bisschen merkwürdig vor, ungewohnt und irgendwie auch total verrucht. Aber musste man nicht auch hin und wieder mal etwas richtig Verruchtes tun? Etwas, mit dem man sich selbst überraschte?
Sie sah noch einmal zu den bewaldeten Hügeln auf der anderen Seite des Sees hinüber, dann ließ sie sich mit einem tiefen Seufzer in die kühlen Fluten gleiten. Ihre Füße streiften den Grund, der weich und mulchig war von verrottenden Pflanzenresten. Eine Wolke trüber Flocken wirbelte ihr entgegen, und sie zog erschreckt die Beine an, als etwas an ihrer Wade entlang strich. Nur eine Wasserpflanze vermutlich, aber das Gefühl war ihr unangenehm, und sie beeilte sich, ein Stück hinauszuschwimmen, dorthin,
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