Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
stämmigen Beinchen zappeln durch die schwüle Luft, die so zäh ist, dass man eigentli ch schon allein vom Atmen müde werden müsste. Nur leider sieht Chantal überhaupt nicht müde aus.
Und wenn schon! Miriam ist geduldig. Sie ist ans Warten gewöhnt. Darauf, dass die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter wieder aufgeht. Dass der fremde Mann geht. Dass die Zigarette gedreht, der Cappuccino getrunken, der Lack an den falschen Fingernägeln getrocknet ist. Dass Mama sich genug ausgeruht hat. Genug geschlafen. Genug gebadet. Genug gevögelt. Das Wort kennt sie bereits, wenn auch noch nicht die genaue Bedeutung. Die Welt ist gerade erst im Begriff, sich ihr zu erschließen.
Sie ist sieben Jahre alt.
Ihre Hände kleben am Gummi des billigen Plastikfußballs, den sie bei einem ihrer seltenen Ausflüge auf die Kirmes gewonnen hat und den sie nun fest gegen ihren Körper presst, weil es zu gefährlich ist, ihn loszulassen. Überall Kinder, die lauern. Auf den Ball, auf die freie Schaukel oder eine Schaufel für den Sandkasten. MEIN und DEIN sind hier nicht, nur KAPUTT oder BRAUCHBAR. Und der Fußball, den Miriam auf der Kirmes gewonnen hat, gehört ganz eindeutig in die letztere Kategorie.
In ihrem Kopf schwebt eine leichte Benommenheit, die davon kommt, dass es so schwül ist und dass sie nun schon eine halbe Ewigkeit neben der Schaukel steht. Aber sie will auch nicht weggehen. Weggegangen, Platz vergangen. Eins von den Dingen, die sie in diesem Sommer gelernt hat.
Sie versucht, sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn zu pusten, aber die klebt fest, weil sie so schwitzt. Das dünne Top mit dem Volant am Ausschnitt ist schon ganz nass. Sie sieht kurz hin und bemerkt, dass der Stoff Wellen schlägt. Und das findet sie irgendwie fast lustig.
Was grinst du denn so blöd vor dich hin?
Sie blinzelt in das helle Sonnenlicht und streckt Chantal einen Mittelfinger entgegen. Den rechten. Der hebt sich leichter als der linke, und blamieren will sie sich nicht. Dann hält sie den Ball wieder beidhändig fest. Von links, wo hinter den dichten Büschen ein kleiner Bach fließt, blendet sie etwas. Ein kurzer Blitz, der ihre Augen trifft.
Dann ist es wieder weg.
Miriam denkt an einen Film, den sie gesehen hat. Eine Schatzsuche. Ein Mann in komischen Kleidern. Und eine Truhe voller Gold. Von Gold, denkt sie, kann man sich lauter schöne Dinge kaufen. Computerspiele und Chips und vielleicht sogar ein Fahrrad, wenn es viel ist. Oder ein Schloss mit Türmen, die bis in den Himmel reichen. So hoch, wie Chantal und Gina-Marie niemals schaukeln könnten. Sie lächelt. Das wäre doch was, so ein Schloss mit zwei Türmen! Und … Da ist es wieder!
Sie hält inne und merkt, dass ihr Herz auf einmal schneller schlägt. Noch so ein Blitz. An derselben Stelle wie eben. Dort, wo die Büsche dicht und grün sind.
Mit einem raschen Seitenblick vergewissert sie sich, dass Chantal nichts bemerkt hat. Dann dreht sie sich um und geht langsam auf die Stelle zu.
Unter den Sohlen ihrer Sandaletten verändert der Boden seine Gestalt. Sand wird zu Gras. Das Gras wird höher. Die Spitzen der Stängel streichen an ihren nackten Waden entlang. Es kitzelt, und Miriam hat Mühe nicht zu lachen.
Ein paar Äste schnappen hinter ihr zusammen.
Als ob eine Tür ins Schloss fiele. Ganz von allein…
Dünne Streifen von Sonnenlicht fallen aus dem hohen Himmel direkt vor ihre Füße. Sie fühlt den Ball an ihrem Körper. Drückt ihn noch fester an sich. Dann breitet sich ein Schatten über sie.
Da ist ja gar kein Schatz, denkt sie und ist enttäuscht. Er hat nur eine Kamera bei sich, die direkt auf ihr Gesicht gerichtet ist.
Hallo.
Sie kennt ihn nicht. Aber das macht nichts. Die Männer, die aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter kommen, kennt sie schließlich auch nicht. Die meisten jedenfalls. Selten, dass einer von denen noch mal wiederkommt.
Wie heißt du denn?
Sie antwortet nicht.
Im Baum über ihnen zwitschern die Vögel.
Pass mal auf, ich zeig dir was …
2
Freitag, 27. Juli 2007
Der Vollzugsbeamte Will Nylund schiebt seinen Essenswagen den endlos langen Korridor entlang. Es ist sehr still an diesem Morgen. Nur das Quietschen der Räder auf dem Linoleum ist zu hören, Frühstück in Plastikschüsseln. Zwei Scheiben Graubrot, Streichfett, Marmelade, dazu Honig oder Käse. Alles abgedeckt und auf gekühlten Tellern. Trotzdem hat sich erst letzte Woche einer der Häftlinge lautstark über eine Scheibe Wurst beschwert. Die
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