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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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schüttelte unwillig den Kopf. „Gerade eben hast du mir noch erzählt, dass deine Schwester herzkrank gewesen ist!“
    Sie drehte die Folie vorsichtig wieder auf die andere Seite. Genau! Da stand es schwarz auf weiß:
     
    Aber irgendwann kam ich dahinter, dass Lornas Klinikaufenthalte irgendwie anders waren. Die Leute im Ort sagten, sie sei verrückt, aber das stimmte nicht. Es war ihr Herz, mit dem etwas nicht in Ordnung war, nicht ihr Kopf.
     
     
    „Was denn nun?“, fauchte Winnie, indem sie ihre fragile Kollage ein weiteres Mal drehte, um weiterlesen zu können. „Verrückt oder herzkrank? Rock oder Hose? Misshandlung oder einfach Pech?“
    Sie strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.
    Wer blickte bei diesem ganzen wirren Quatsch eigentlich noch durch?
     
     
    Da fällt mir ein: Habe ich überhaupt schon von Lorna erzählt?
     
     
    „Ja, hast du“, seufzte Winnie mit dem unangenehmen Gefühl, sich mit einer Toten zu unterhalten. „Aber es hat mir leider nicht viel weitergeholfen.“
     
     
    Sie war verrückt, das arme Ding, und sie steckten sie in eine Anstalt, wo es ganz furchtbar war. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Aber wir haben sie ja auch nur ein einziges Mal dort besucht, im Herbst war das, das weiß ich noch, und die Bäume vor den Fenstern des Besucherraumes waren ganz gelb.
     
     
    Unwillkürlich musste Winnie an den Tag denken, an dem sie ihre Therapie beendet und das Sanatorium verlassen hatte. Die Sonne hatte von einem tiefblauen, sagenhaft hohen Himmel herab gelacht, und sie hatte sich nicht umgesehen, sondern war schnurstracks auf das wuchtige Tor zumarschiert. Nur weg, hatte sie gedacht. So schnell wie möglich weg von hier. Weg von den quälenden Erinnerungen. Hinaus in ein neues Leben.
    Von einer nahen Tankstelle aus hatte sie sich ein Taxi gerufen und zu einem billigen Hotel chauffieren lassen, von wo aus sie sich zunächst einen Aushilfsjob und dann, nachdem sie das Auswahlverfahren durchlaufen und ihre Zusage für den gehobenen Kriminaldienst in der Tasche gehabt hatte, ein düsteres Hinterhofappartement besorgt hatte. Ein anderes als das, in dem sie jetzt wohnte, aber genauso winzig. Und dort hatte sie schließlich auch nachgeholt, was sie in jener Nacht, in der ihre Schwester zum ersten Mal gestorben war, versäumt hatte. Eine hastige kleine Angelegenheit ohne Gefühl und Romantik, nur ein liebloser Akt, wie um eine alte Schuld zu begleichen …
    Wütend wandte sie sich wieder ihrem Briefpuzzle zu:
     
     
    Eine der Frauen in der Klinik hatte entsetzlich hässliche Hände, die sehe ich noch vor mir, als sei es gestern gewesen. Zwei unebene rote Flächen mit schwarzen Haaren darauf, wie bei einem Mann. Von diesen Händen habe ich später oft geträumt. Sie kamen aus irgendwelchen Kellerfenstern geschnellt, an denen ich vorbei musste, und griffen nach mir und versuchten, mich zu sich hineinzuziehen. In die Dunkelheit. Natürlich habe ich um mich getreten wie wild, aber das hat mir nie was genützt. Der Traum endete immer damit, dass ich irgendwo in der Dunkelheit verschwand. Im Nichts …
    Vielleicht kann ich Beerdigungen deshalb so wenig leiden. Wegen der Gruben, meine ich. Trotzdem kann ich nicht aufhören, mich zu fragen, wer der Tote ist, zu dessen Begräbnis Jasper unterwegs ist. Oder die Tote. Es muss ja jemand sein, den er gekannt hat, sonst ginge er wohl kaum auf dessen Beerdigung. Dabei kennt Jasper eigentlich gar nicht viele Leute. Über seine Familie spricht er nicht, und so was wie einen Freundeskreis hat er meines Wissens nach auch nie gehabt. Und doch hat er heute sein schwarzes Jackett angezogen …
    Ich habe mich übrigens immer gefragt, wo die Toten hingehen, nachdem sie gestorben sind. Das mit dem Himmel, daran habe ich nie geglaubt, auch wenn Religion eins der wenigen Fächer war, in denen ich immer ganz passable Noten hatte. Aber der liebe Gott und so – das ist nicht mein Ding. Und wahrscheinlich bleiben die Toten tatsächlich da, wo man sie hinlegt, und rotten vor sich hin …
    Als Kind habe ich manchmal von diesen leeren Augenhöhlen geträumt, in denen sich ganze Knäule von Würmern ringelten. Diese Würmer hatten riesige, zangenartige Kauwerkzeuge, mit denen sie den Toten auch noch die letzten Reste des modernden Fleisches von den Knochen nagten. Aber als Erstes fraßen sie sich immer durch die Augen, direkt ins Gehirn.
     
     
    Gütiger Himmel, dachte Winnie, was für eine durch und durch kranke Phantasie! Sie verzog angeekelt

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