Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
hatte. „Er schien sehr müde zu sein.“
„Müde?“, fragte Hinnrichs. „Sie meinen alt?“
„Ich meine müde.“
Über ihren Köpfen flackerte eine der Neonröhren, die zu jeder Tages- und Nachtzeit brannten. Selbst jetzt im Sommer konnte Hinnrichs nie genug Licht haben.
„Und was ist mit diesen Kindern?“ Der Leiter des KK 11 wühlte in dem Aktenberg neben seinem Telefon und zog ein von einem grauen Heftstreifen zusammengehaltenes Dokument hervor. „Zwei Vermisstenfälle, die eine halbe Ewigkeit zurückliegen, und ein Mädchen, das am Todestag Ihrer Einsiedlerin irgendwohin verschwindet, von wo es zwei Tage später wohlbehalten wieder zurückkehrt. Das ist doch …“
„ Ob das Mädchen wohlbehalten ist, steht noch nicht hundertprozentig fest“, fiel Verhoeven ihm ins Wort, und er konnte sehen, wie sehr der ungewohnte Widerspruch den selbstbewussten Hinnrichs irritierte. „Sie scheint lediglich unverletzt zu sein.“
„Sie glauben also wirklich, dass diese entführten oder verschwundenen Mädchen einen Bezug zu Ihrer Toten haben?“
„Es könnte mit hinein spielen.“
„Wo hinein?“
„So genau können wir das noch nicht sagen.“
Hinnrichs nickte, aber er sah nicht aus, als habe er überhaupt zugehört. Seine langen, knochigen Finger blätterten sich unentwegt durch die Berichte. „Sie haben bei der Durchsuchung der Hütte keine Hinweise gefunden, dass sich ein Kind dort aufgehalten haben könnte?“
Insgeheim war Verhoeven sich sicher, dass sein Vorgesetzter die Antwort bereits kannte. Hinnrichs war fleißig. Er hielt sich auf dem Laufenden. Las Berichte. Merkte sich Details. Dennoch sagte er: „In der Toilette fand sich neben verschiedenen Kleidungsstücken der toten Ehefrau auch eine geringelte Kindersocke.“
„Die laut Gutachten aus den Siebzigern stammt“, fauchte Hinnrichs.
„So ist es.“
„Können wir das Ding einem von den alten Vermisstenfällen zuordnen?“
Verhoeven bemühte sich um einen möglichst unverbindlichen Gesichtsausdruck. „Frau Heller ist dran.“
„Na schön.“ Sein Vorgesetzter kräuselte seine schmalen Lippen, bis sie aussahen wie eine Ziehharmonika. Es war mehr als offensichtlich, dass seine Geduld allmählich an ihre Grenzen stieß. „Dann reden wir also Klartext: Kann Jasper Fennrich dieses Mädchen, das am Dienstag verschwunden und gestern wieder aufgetaucht ist, entführt haben?“
Verhoeven zögerte. „Entführt schon“, sagte er, „aber nicht zurückgebracht.“
„Sind Sie denn sicher, dass diese …“, Er warf einen flüchtigen Blick in die Akte vor sich, „diese Corinna Schilling tatsächlich zurückgebracht wurde? Sie könnte doch auch einfach weggelaufen sein. Von dort, wo sie festgehalten wurde, meine ich.“
Verhoeven schüttelte den Kopf. „Das ist mehr als unwahrscheinlich. Dazu ist sie noch zu klein.“
Hinnrichs hob abwehrend die Hand. „Was erzählt das Mädchen denn selbst über seinen geheimnisvollen Ausflug?“
„Die Kollegen von der Vermisstenabteilung haben erst heute Gelegenheit, das Kind zu besuchen.“
„Ausgezeichnet.“ Sein Vorgesetzter hob den Blick und sah ihn über den Rand seiner Brille hinweg an. „Dann fahren Sie hin und reden mit dem Mädchen.“
„Ich?“ Verhoeven hob abwehrend die Hände. „Aber ich glaube kaum, dass die Mutter zulassen wird, dass noch ein Polizist …“
„ Nicht noch einer.“ Burkhard Hinnrichs’ Stimme vibrierte vor unterdrücktem Ärger. „Ab sofort ist es Ihr Fall. Also bringen Sie mir gefälligst eine Erklärung für diesen Scheiß hier.“ Er schleuderte die Berichte quer über den Tisch und griff nach seinen Zigaretten.
Verhoeven stand auf. „Und was ist mit …“
„Sven Brüning?“ Hinnrichs stieß ein kurzes, spöttisches Lachen aus. „Keine Sorge, ich regle das mit seiner Abteilung.“ Er griff zum Telefon. „Genau genommen sind die sowieso nicht mehr zuständig, schließlich ist die kleine Schilling wieder da, wo sie hingehört. Und diese alten Geschichten um Edda Bender und Viola Irgendwas sind sowieso ausermittelt und abgeschlossen. Deswegen können sie uns wohl kaum ans Bein pinkeln.“
„Aber …“, setzte Verhoeven erneut an, doch sein Vorgesetzter ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
„Nichts aber!“ Er blies eine Rauchwolke in die Luft und bedachte Verhoeven mit einem Blick, in dem sich Verachtung mit Unverständnis mischte. „Sie wollten diese Sache mit den verschwundenen Mädchen doch so unbedingt klären. Also klären Sie
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