Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
und auf diese Weise vielleicht an Informationen zu kommen, über die außer ihr noch kein anderer verfügte. Zudem war sie selbstbewusst genug, sich Befragungen dieser Art zuzutrauen . Mehr noch: Sie war geradezu erpicht darauf, diejenige zu sein, die den Rhythmus eines Gespräches diktierte. Sie konnte das, Leute zum Reden bringen. Und wenn sie da an gestern dachte ... Sie schüttelte unwillig den Kopf. Das Gespräch mit Yvonne Paland. Verhoevens ständiges Auf-die-Uhr-Sehen, damit er nur ja pünktlich zu seiner Bilderbuchfamilie kam. „Ich könnte vorher anrufen und Frau Bender …“
„Nein“, unterbrach Verhoeven, und verblüfft registrierte sie so etwas wie Aggression in seiner Stimme. „Ich möchte…“ Ein Funkloch raubte den Rest seiner Entgegnung. Das nächste, was sie hörte, war: „… einer Viertelstunde da.“
„ Okay“, entgegnete sie schicksalsergeben. „Wie Sie meinen.“
Dann drückte sie auf die Taste mit dem roten Hörer.
6
Miriam Lauterbach kauert hinter einem Holzverschlag, in dem ein paar stinkende Mülltonnen untergebracht sind, und späht um die Ecke.
Tatsächlich, da war dieser Scheißkerl schon wieder!
Scheißkerle nennt ihre Mutter alle Typen, die etwas von ihr wollen, das sie nicht geben kann oder will oder die ihr wehtun, was auch hin und wieder vorkommt. Dann sitzt sie beim Frühstück und ihr eines Auge ist fast ganz zugeschwollen oder sie hat lauter kleine blaue Flecken rund um ihren Hals.
Der bloße Gedanke daran versetzt Miriam einen schmerzhaften Stich.
Und nun kennt sie selbst also auch einen Scheißkerl. Den, der ihr gesagt hat, er wolle ihr was zeigen …
Sie waren ein Stück zusammen gegangen und er hatte ganz komische Sachen gesagt, und dann hatte er sie plötzlich aufgefordert, zu ihm in sein Auto zu steigen, aber so blöd war sie ja nun bestimmt nicht!
Wenn dich irgendwann mal ein Mann da oder auch woanders anfasst, dann trittst du ihm in die Eier, hast du mich verstanden?
Und genau das hatte sie getan. Danach war sie weggerannt, so schnell sie konnte. Und er war ihr gefolgt, aber nur ein Stück. Dann hatte er aufgegeben. Notgedrungen … Oh ja, sie wusste genau, was sie tun musste, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Selbst in einer so gleichgültigen Welt wie der, in der sie lebte. Sie wusste, wie man fremde Leute dazu brachte, einen anzusehen. Wie man Passanten für sich ausnutzte. So tat, als kenne man jemanden, der zufällig vorbeikam, einen Erwachsenen, damit die Scheißkerle glaubten, man würde beschützt. Das war eigentlich ganz einfach. Am gefährlichsten waren die Momente, in denen man allein war.
So wie jetzt …
Sie sieht zur Straße, aber angesichts der Gluthitze blieben die meisten Leute zu Hause. Selbst der Parkplatz vor dem Supermarkt ist wie leergefegt. Ein paar verstreute Autos, eine gestresste Mutter mit zwei Kleinkindern und einem Einkaufswagen, aber die ist zu weit entfernt.
Und der Scheißkerl?
Er muss in eines von den Häusern da drüben gegangen sein, aber sie hat nicht gesehen in welches. Zu dumm! Jetzt ist er jedenfalls verschwunden. Sie lehnt sich zurück und überlegt, was sie als nächstes tun soll. In ihrem Versteck ausharren, bis sie ihn wieder zu Gesicht bekommt? Oder weglaufen? Aber wohin?
Nach Hause kann sie nicht. Nicht jetzt. Wenn Mama einen Besucher hat, kann sie es überhaupt nicht leiden, wenn sie unerwartet auftaucht, und der Typ, der heute Morgen in Mamas Bett gelegen hat, sah leider gar nicht so aus, als würde er so bald wieder verschwinden …
Von den Mülltonnen weht ein furchtbarer Gestank von Fäulnis und gammelnden Essensresten zu ihr herüber. Sie unterdrückt einen leisen Brechreiz und denkt wieder an den Scheißkerl. Das erste Mal hat sie ihn vor ein paar Tagen wiedergesehen. Ganz in der Nähe des Spielplatzes. Das heißt, eigentlich war es nur sein Wagen, den sie gesehen hat. Aber das tut nicht viel zur Sache. Angst hat sie trotzdem. Schließlich ist sie ja nicht blöd oder so. Sie weiß, was Zufall sein konnte und was. Und jetzt trieb er sich also schon wieder hier herum. Noch dazu so nahe an ihrem Zuhause!
Sie fühlt, wie ihr trotz der Hitze plötzlich kalt wird.
Vielleicht sucht er dich! Vielleicht ist er noch immer wütend. Dass du ihn getreten hast. Dass du ihm weggelaufen bist.
Vielleicht ist es das Beste, wenn sie ein paar Tage ganz von der Bildfläche verschwindet. Sie weiß einen Ort, wo sie niemand finden wird, zumindest nicht so schnell. Aber das mit dem
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