Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
eine Gluthitze. Ihre Mutter hat das ganze Dorf zusammengeschrien, das weiß ich noch, und kurz danach haben sie angefangen, alles zu durchsuchen. Hunderte von Polizisten in olivgrünen Uniformen sind durch den Uhlenforst und die angrenzenden Felder gestreift. Und das nur, weil irgendwer behauptet hatte, dort ein Mädchen in einem weißen Kleid gesehen zu haben. Aber das ist viel später gewesen. Stunden, nachdem Edda wirklich verschwand …
Die Polizisten bildeten eine lange Kette und fuhren mit Stöcken durch das hohe Gras. Die Insekten flirrten um ihre Köpfe, und einigen wurde schwindlig, so dass sie sich in den Schatten setzen mussten. Trotzdem machten sie weiter, bis es dunkel wurde. Und am nächsten Tag suchten sie auch auf der anderen Seite des Ortes. Ellen, Susanna und ich, wir guckten von weitem zu, bis Ellen ganz rot war, und Susanna sagte, wir gehen jetzt besser nach Hause, sonst bekommt Ellen noch einen Sonnenstich. Also sind wir zu Susannas Großeltern gegangen, die wohnten direkt gegenüber von Eddas Haus. Ihre Oma brachte uns selbst gemachte Limonade in den Garten, und wir warteten gespannt, dass etwas geschehen würde. Aber es geschah nichts. Edda blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Sie ist nie wieder aufgetaucht.
Wie auch immer, ich glaube, ich gehe erst mal ein paar Schritte vor die Tür. Vielleicht ist es draußen angenehmer …
Da bin ich wieder! Und am besten wäre ich gar nicht erst gegangen. Aber davon schreibe ich ein andermal. Ich muss nämlich noch meinen Rittersporn wässern, der kann diese Hitze gar nicht ab. Und … Oh, Mann! War das ein Donner? … Das hat mir gerade noch gefehlt! Ich hasse Gewitter, auch wenn ein bisschen Regen dem Garten natürlich gut täte. Allerdings glaube ich … Da! Schon wieder! Und es ist ziemlich nah. Aber … He, was ist das denn? Klingt ja fast, als ob Jasper schon zurück wäre ... So früh? … Nein, es war nichts. Ich bin nur nervös. Seit Tagen höre und sehe ich Dinge, die gar nicht da sind. Rehe. Schatten. Stimmen. Und … Moment! Ich hatte doch recht. Das ist jetzt eindeutig das Motorrad!
Zum Glück bin ich inzwischen einigermaßen routiniert, was das Verstecken meiner Schreibsachen angeht. Vierzig Sekunden, wenn’s hoch kommt, gestoppt mit der alten Uhr über dem Ofen. Aber Jaspers Schritte klingen heute irgendwie anders als sonst. Und warum, um Himmels willen, habe ich auf einmal Angst vor ihm?
4
„Ich möchte zu Herrn Fennrich.“
„Ach ja.“ Der Beamte hinter dem Tresen der zuständigen Polizeidienststelle machte ein Gesicht, als sei ihm der Name eben erst wieder eingefallen. „Kommen Sie.“
Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und entnahm ihr einen Schlüsselbund, an dem ein Anhänger in Form einer Billardkugel baumelte. Dann führte er Verhoeven einen tristen grauen Flur entlang zu einer Zelle, die mit einer stabilen Stahltür verschlossenen war. „Normalerweise benutzen wir den Raum zur Ausnüchterung“, erklärte er. „Ein Schreibtisch steht drin. Und wenn Sie Papier brauchen …“
„Nicht nötig.“ Verhoeven tippte an die Brusttasche seines Hemdes. Das Jackett hatte er inzwischen aufgegeben. „Ich habe ein Diktiergerät.“
„Na dann …“
„Hat der Verdächtige sich schon irgendwie geäußert?“
Der Beamte schüttelte den Kopf. „Seit er hier ist, hat er keinen Ton gesagt.“
„Und vorher?“
„Nur dass er sie umgebracht hat.“ Er drehte den Schlüssel. „Aber dieser Kerl ist noch nie besonders gesprächig gewesen.“
Soll das ein Trost sein?, überlegte Verhoeven. Oder eine Warnung?
„So, bitte sehr.“ Der Beamte machte einen Schritt zur Seite, um Verhoeven eintreten zu lassen.
Im Inneren der Zelle war es beinahe so stickig wie in der Hütte am See. Es gab ein Fenster, das geschlossen und von außen vergittert war, obwohl es viel zu schmal aussah, als dass ein Erwachsener hätte hindurchklettern können. Dazu gab es eine Pritsche, einen Tisch und ein winziges Waschbecken.
Jasper Fennrich saß auf dem Bett, über das irgendwer eine kratzige graue Decke gebreitet hatte. Sein Gesicht war für Verhoeven, dessen Augen sich noch nicht vollständig an das Dunkel des Raumes gewöhnt hatten, zunächst nichts als ein fleischfarbener Fleck vor der gegenüberliegenden Wand.
Auf der Fahrt zur Dienststelle hatte ihn ein Kollege angerufen und berichtet, dass Lilli Dahl und Fennrich im Sommer 1977 in Hamburg geheiratet hatten. Das Einwohnermeldeamt führte beide ganz
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