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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Edda, Edda, wohin man auch blickte.
    Unter dem Porträt auf dem Kaminsims brannte eine Kerze. Ein Grablicht, wie Winnie voller Entsetzen feststellte, weißes Wachs in einer roten Plastikhülle. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Hannah Bender peinlich genau Sorge trug, dass das Licht unter den Fotos ihrer Tochter niemals ausging. Wahrscheinlich gab es irgendwo in diesem Haus einen Schrank, in dem Hunderte solcher Grablichter lagerten. Fünf Stück für zwei Euro. Winnie fühlte, wie sich trotz der Hitze eine dick Gänsehaut über ihre Arme breitete.
    Im selben Augenblick kehrte Hannah Bender zurück.
    Sie stellte ihr Tablett auf einem puppigen Beistelltisch ab und verteilte Korkuntersetzer auf dem Tisch. „Sie kommen wegen dem verschwundenen Mädchen.“ Es war keine Frage, sondern eine simple Feststellung.
    Winnie wagte nicht, ihr zu widersprechen. Das Gespräch auf Jasper Fennrich oder Lilli Dahl zu lenken. Noch nicht.
    „Meine Edda ist gesehen worden, wissen Sie?“ Hannah Bender schenkte zwei Gläser ein und setzte sich. „In Frankfurt. Auf der Domplatte in Köln. Sogar in Antalya.“ Ihr Lachen klang tief und ausgehöhlt. „Dabei sind wir nie im Leben in der Türkei gewesen. Nur einmal in Kroatien. Aber ich habe mir Prospekte besorgt.“ Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte ihr Blick wie entrückt. „Es scheint schön zu sein in Antalya. Das Meer und so …“
    Winnie schluckte.
    „In den letzten Jahren ist es besonders schlimm geworden“, fuhr ihre Gastgeberin fort mit der Mitteilungsbereitschaft einer Frau, die nur noch selten Gelegenheit hat, über das, was ihr widerfahren war, zu sprechen. „Seit Eddas Fall im Internet veröffentlicht wurde.“
    „Kann ich mir denken“, nickte Winnie. Sie kannte diese meist von Privatleuten unterhaltenen Seiten im Netz, die auf das Schicksal vermisster Kinder aufmerksam machten und dabei auch Fälle berücksichtigten, die zeitlich sehr lange zurücklagen.
    „Die Leute schickten Mails und einige riefen hier an. Von überallher. Sogar aus Dänemark und den Niederlanden.“ Hannah Benders Miene spiegelte echte Fassungslosigkeit. „Und da waren echte Spinner dabei, das können Sie mir glauben. Eine ganze Menge kranker Typen.“
    Sie senkte den Blick und betrachtete den schlichten Trauring, den sie an der rechten Hand trug. Er schnitt ihr tief ins Fleisch und Winnie bezweifelte, dass sie noch in der Lage wäre, ihn abzunehmen, wenn man sie darum bat. Unwillkürlich musste sie an eine beringte Taube denken.
    „Trotzdem wage ich es bis heute nicht, mir eine andere Telefonnummer geben zu lassen , wissen Sie? Ich…“ Hannah Bender räusperte sich. „Ich möchte erreichbar sein. Für alle Fälle, verstehen Sie das?“ Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern redete einfach weiter. „Manchmal stelle ich mir vor, dass Edda von jemandem mitgenommen wurde, Sie wissen schon, jemand, der selbst keine Kinder bekommen kann. Oder der …“ Sie stutzte und sah wieder ihren Ring an. Es war ein beinahe meditatives Betrachten, und Winnie hatte das dringende Gefühl, sie dabei nicht stören zu dürfen. Zugleich fühlte sie eine tiefe Irritation über das, was Edda Benders Mutter zuletzt gesagt hatte.
    Sie hatte noch nie begriffen, warum es so vielen Eltern leichter fiel, sich einzureden, dass ihre verschwundenen Kinder verschleppt worden waren und womöglich in irgendwelchen schmierigen Hinterzimmern zur Prostitution gezwungen wurden, als hinzunehmen, dass sie nicht mehr lebten. Wenn diese Frau nur ein einiges Mal gesehen hätte, was wir jeden Tag sehen, fuhr es ihr durch den Sinn, dann würde sie vielleicht doch lieber annehmen, ihre Tochter sei tot …
    „Ich weiß, was Sie denken“, sagte Hannah Bender, indem sie den Blick beinahe gewaltsam von ihren Händen losriss. „Sie glauben, dass ich mir etwas vormache. Dass ich die Dinge schönrede. Dass ich mich schlicht und ergreifend weigere, einzusehen, dass Edda  tot ist.“ Die Stille, die den beiden letzen Worten folgte, war wie ein zentnerschweres Gewicht. „Ja“, wiederholte Hannah Bender schließlich. „Sie ist wahrscheinlich wirklich tot. Ich meine, wenn Sie sie gekannt hätten … Sie war immer so zuverlässig, wissen Sie? Sie hätte einen Weg gefunden, Kontakt zu mir aufzunehmen, wenn sie noch leben würde. Sie würde wissen, wie sehr ich …“ Ihre Stimme erstickte in einem matten Schluchzen, dem keine Tränen folgten. Die vergangenen sechsunddreißig Jahre hatten sie ausgedörrt. Mechanisch stand sie

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