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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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vorwärts und legte Winnie in einer beschwörenden Geste die Hände auf die Schultern. „Können Sie mir nicht endlich Eddas Leiche bringen, bitte?“ Ihre Stimme war von einer schneidenden Schärfe. „Bringen Sie mir meine tote Tochter, damit ich sie begraben kann, ja? Das wäre sehr wichtig für mich, verstehen Sie das?“
    „Sechsunddreißig Jahre sind eine lange Zeit“, entgegnete Winnie, indem sie sanft, aber entschieden ihre Schultern losmachte. „Wir tun unser Bestes. Aber ich kann leider nichts versprechen.“
     
     
     
     
    9
     
    Corinna Schilling s Pupillen waren wie zwei Saugnäpfe, die Verhoevens Blick mit unbändiger Macht zu sich hineinzogen. Die Iris himmelblau. Himmelblau mit einem dunklen Loch in der Mitte.
    Verhoeven setzte sich auf den Stuhl, ihr gegenüber. Er kam sich plump und unbeholfen vor. Wie jemand, der niemals mit Kindern zu tun hat. Oder lag genau hier sein Problem? Dass er eine Tochter hatte, die nur wenige Monate älter war? Nina könnte dort sitzen, dachte er. Zugleich ertappte er sich dabei, wie er Corinna Schillings zarten Körper mit Blicken abtastete. Was hatte dieses kranke Schwein mit ihr gemacht?
    Gisela Schilling war die Nacht über bei ihrer Tochter im Krankenhaus geblieben. Sie hatte erzählt, dass Corinna davon gesprochen habe, mit einem Onkel in einem Zimmer gewesen zu sein. Einmal, ganz kurz nur, habe sie das erwähnt. Gestern, nach dem Abendessen. Verhoeven seufzte. Corinna hatte von einem Onkel gesprochen, und die Ärzte hatten ihrer Mutter ein Beruhigungsmittel geben müssen. Daraufhin war Gisela Schilling eingeschlafen, und ihre Tochter hatte wieder geschwiegen.
    Achtundvierzig Stunden sind eine lange Zeit, dachte er. Zu lang, um nur zu gucken. Zu lang, um nichts zu tun …
    Er blickte sich nach der verspiegelten Wand in seinem Rücken um. Die Psychologen der Klinik benutzten den Raum zur Beobachtung. Auf dem Boden lag Spielzeug. Bauklötze. Kissen mit Tiergesichtern. Dazu ein paar nackte Puppen, die ihn an das Geburtstagsgeschenk seiner Schwiegereltern erinnerten. Doch die Puppen in diesem Zimmer wiesen die typischen Geschlechtsmerkmale auf. Spielerische Demonstration, wo Worte fehlten. Sein Blick suchte wieder den Spiegel. Stand Gisela Schilling dort, auf der anderen Seite? Und wer außer ihr?
    Er sehnte sich nach kompetenter Hilfe, nach jemandem, der die Richtung vorgab, der die richtigen Fragen stellte, der zum richtigen Zeitpunkt das Richtige tat. Aber Corinnas Mutter hatte nicht erlaubt, dass ihm diese Hilfe zuteil wurde. Ein Polizist war ja schon schlimm genug. Aber Psychologen? Und wozu überhaupt? Corinna habe von einem Onkel gesprochen, schön und gut. Aber die Ärzte seien doch schließlich sicher, dass es keinerlei Verletzungen gebe, die auf sexuellen Missbrauch hindeuteten.
    Verstockt, dachte Verhoeven. Das ist genau das richtige Wort dafür. Eine verstockte Reaktion auf einen ungeheuerlichen Vorgang. Er rieb sich flüchtig die Wangen und drehte sich wieder zu Corinna Schilling um. „Ich möchte mit dir über die Zeit sprechen, in der du nicht zu Hause warst“, begann er, als sie abermals ihren klaren Kinderblick auf ihn richtete. „Und auch nicht bei euch in der Tagesstätte.“
    Sie schwieg und musterte ihn. Sah sie verstört aus?
    Er konnte nichts Auffälliges feststellen. Ein ganz normales Kind. Rein äußerlich.
    „Kannst du mir etwas über den“, er zögerte, weil er das Wort in diesem Zusammenhang nur schwer über die Lippen brachte, aber schließlich benutzte er es doch: „über den Onkel sagen, der dich mitgenommen hat?“
    Suggestivfragen , hämmerte es hinter seiner Stirn.
    „Kanntest du ihn?“
    Corinna machte ein Gesicht, als habe sie nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach. Was willst du von mir?, schien ihr Blick zu sagen. Warum lässt du mich nicht in Ruhe?
    Ich kann nicht. Tut mir leid.
    „Bist du diesem Mann schon vorher mal begegnet?“
    Ds Mädchen schüttelte den Kopf.
    „Es war also ein Fremder?“
    Nicken.
    Seine Finger spielten mit der Fotografie in seiner Hand. „War es dieser Mann?“
    Folgsam blickte sie auf.
    „Ist das der Onkel, mit dem du in dem Zimmer gewesen bist?“
    Kopfschütteln.
    Nicht Fennrich also …
    Aber wer dann? Verhoeven überlegte, wie viel er selbst noch aus der Zeit wusste, als er vier oder fünf gewesen war, aber ihm wollte kaum etwas einfallen. Ein paar Gerüche vielleicht. Sonnenlicht in einer Baumkrone. Ein Loch in einer Tischdecke. Banalitäten. Wie viel bleibt haften?, dachte er.

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