Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
ich Ihnen weiterhelfen kann.“ Ihre Stimme war angenehm, warm und dunkel, und Winnie stellte sich eine große, ruhige Frau in einem gut geschnittenen Kostüm vor, die mit elegant gekreuzten Knöcheln in einem bequemen Sessel saß. „Soweit ich informiert bin, gibt es im Keller noch alte Aktenbestände, die aus der Zeit stammen, die für Sie interessant ist, aber damit kenne ich mich nicht aus.“ Sie zögerte. „Wenn Sie ein bisschen Zeit haben, könnte ich eine der Sekretärinnen bitten, sich dort mal umzusehen.“
„Das wäre sehr hilfreich“, antwortete Winnie und nannte noch einmal Lorna Dahls persönliche Daten sowie die Adresse der Familie.
Dann legte sie auf.
Verhoeven wartete bereits an der Tür auf sie. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, doch allein zu Edda Benders Mutter zu fahren?“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, ein Hochzeitsgeschenk seines Gottes Grovius, wie Winnie aus den Erzählungen ihrer Kollegen wusste. „Ich fürchte, sonst schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig.“
„Kein Problem.“ Sie musste sich arg zusammenreißen, um ihre Freude über die unerwartete Freiheit nicht allzu deutlich zu zeigen.
„Hatten Sie einen Unfall?“
Irritiert blickte sie auf. „Was?“
„Ihre Hand.“ Wie zur Erklärung hob Verhoeven die seinige. „Sieht ziemlich böse aus.“
„Ach so, das …“ Sie registrierte mit Schrecken, wie hohl ihr Lachen klang. Total unecht. Nimm dich gefälligst zusammen, dachte sie. „Naja, hin und wieder muss man eben doch mal saubermachen, und wenn man dafür zwei linke Hände hat …“ Sie unterbrach sich, als sie seinen konsternierten Gesichtsausdruck sah. Er schien ernsthaft zu überlegen, ob sie einen Witz gemacht hatte oder … Nein, verdammt noch mal! Sie gab sich innerlich eine schallende Ohrfeige für ihre Gedankenlosigkeit. Zwei linke Hände. Gartenschere. Lilli Dahls Mutter. Misshandlungen. „So habe ich das nicht gemeint“, sagte sie eilig.
Ihr Vorgesetzter nickte zerstreut und schien mit den Gedanken bereits wieder woanders zu sein.
Sei doch froh, dachte sie. Doch zugleich fühlte sie ein gewisses Befremden darüber, dass er ihrer verletzten Hand und der dazugehörigen Erklärung so wenig Beachtung schenkte. Das war wieder einmal typisch für ihn! Interessierte sich nur für sich selbst und für seinesgleichen. Sie warf ihm einen wütenden Seitenblick zu. Nicht einmal ihr Geschenk für seine Tochter hatte er erwähnt. Mit keiner Silbe!
Während sie ihre Sachen zusammenraffte, bemerkte sie, wie sein Blick auf das Fläschchen fiel, das neben ihrem Telefon stand. „Esha-2000“, las er vom Etikett der Flasche ab. „Das ist nicht zufällig gegen Kopfschmerzen, oder?“
„Es ist nicht einmal für Menschen“, entgegnete sie knapp, und als sie sah, dass sie ihn schon wieder irritiert hatte, fügte sie widerwillig hinzu: „Papageno ist krank. Irgendein Ausschlag. Wenn’s nicht besser wird, muss ich nächste Woche mit ihm zum Tierarzt.“
Verhoeven stellte das Fläschchen auf den Schreibtisch zurück. „Sie haben einen Hund?“
„Wels“, keuchte sie und bückte sich im Gehen nach einem Bogen Papier, den der Durchzug von ihrem Schreibtisch geweht hatte.
„Bitte?“
„Aquaristik.“ Sie schenkte ihm ein kurzes, entwaffnendes Lächeln. „Ich habe Fische.“
„Aha“, sagte er und musterte sie einen Moment lang mit neuem Interesse. „Das ist … nun ja … Das ist sicher spannend.“
„Total.“
Er spürte, dass sie sich über ihn lustig machte, und zog unbewusst den Kopf ein. „Dann fahren Sie also jetzt zu Edda Benders Mutter, und wir treffen uns dann später im Präsidium, okay?“
Sie nickte. Präsidium. Alles klar.
„Also, bis dann ...“ Verhoeven hob grüßend die Hand und ging mit eiligen Schritten den Korridor hinunter.
Winnie blickte ihm nach, bis er durch den Hauptausgang verschwunden war. Dann nahm sie ihre Handtasche vom Stuhl, schwang sich in ihren Polo und fuhr zu der Adresse, die sie sich auf einen kleinen gelben Haftzettel notiert hatte.
Sie hielt direkt vor dem Grundstück und schaltete den Motor aus. Das Haus der Familie Bender lag in einer reinen Wohngegend, gepflegte Ein- und Zweifamilienhäuser, neben deren Eingangstüren Hortensien und Lorbeerbüsche wuchsen. Zwischen holzverkleideten Veranden konnte man in schattige, großzügig angelegte Gärten schauen.
In einem dieser Gärten hat Lilli am Tag von Eddas Verschwinden mit ihren Freundinnen gesessen und auf Neuigkeiten gewartet, dachte Winnie. Oder
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