Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
erfolgreich.«
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: » Viele Großstädte sind komplett übernommen worden, aber keine der unseren, noch nicht, noch nicht ganz. Wir glauben, die Seuche kam ins Land, als asymptomatische Überträger per Flugzeug oder Schiff einreisten, bevor die Situation in Afrika ihren Höhepunkt hatte. Bei jedem Ausbruch brennen wir das Gebiet völlig ab. Wir versengen die Erde. Null Toleranz, könnte man sagen. Es hat die Ausbreitung des Erregers verlangsamt, aber…es hat auch Verluste gegeben.«
» Kollateralschäden«, sagte Anna und senkte den Blick.
» Wir haben schätzungsweise hundertzehntausend Überträger vernichtet und dabei im ganzen Land ungefähr zehntausend Unschuldige getötet.«
» In der ganzen Zeit?«, fragte Anna. Hoffnung erhellte kurz ihre Miene. So gefühllos es auch klang, die Zahlen waren geringer als erwartet. Vielleicht konnten die USA doch ausharren.
Doch die Hoffnung schwand so schnell, wie sie gekommen war.
» Nein«, sagte Mason. » Das war nur die Schätzzahl von gestern. Nur von gestern.«
» Und dort, wo wir waren? Der heutige Angriff?«
» Unsere Stellung? Heute wird man sie wohl noch halten. Wir haben genug Feuerkraft, um die Infizierten fernzuhalten. Und das Hauptquartier ist eine Festung. Der Erreger wird sich anstrengen müssen, wenn er uns von unserem Grund und Boden vertreiben will. Ich habe gedacht, es herrscht genügend Chaos, um unsere Flucht zu tarnen. Ich weiß auch nicht, wann oder wie Sawyers Leute darauf gekommen sind, was ablief, aber sie sind nicht blöd. Was bedeutet, dass wir äußerst vorsichtig sein müssen, wenn wir weit von hier fortwollen. Wie gesagt, die werden uns verfolgen.«
» Wie weit kommen wir denn mit zwei Waffen ohne Proviant und Wasser?«, fragte Anna.
Mason grinste verwegen. » Wir sind zu einem Unterschlupf in der Vorstadt unterwegs, haben Sie’s vergessen? Alles, was wir brauchen, werden wir dort finden.«
» Gibt es da auch Medikamente für Julie? Ich möchte mich so schnell wie möglich um sie kümmern.«
» Doc«, sagte Mason lächelnd. » Wenn ich Alles, was wir brauchen sage, meine ich es ernst. Noch fünf Minuten, dann sind wir da.«
Washington, D. C.
18 . 30 Uhr
Agent Mason hatte nicht gelogen. Der Unterschlupf war ein Wunder der modernen Spionage. Laut Mason hatte es solche Häuser zu jeder Zeit und in allen Großstädten der Welt gegeben. Sie dienten nur einem Zweck. Sie sollten Agenten auf der Flucht ausrüsten. Natürlich sollten sie nicht dazu dienen, abtrünnigen Geheimdienstagenten zu helfen. Deswegen war jeder Unterschlupf mit einem festen Operator versehen. Die Aufgaben des Operators waren die Instandhaltung und Sicherung der Ausrüstung. Außerdem sollte er den Nachbarn gegenüber so etwas wie Normalität vorgaukeln und ihren Argwohn auf ein Minimum reduzieren. Zum Glück für die drei Flüchtlinge war der Operator des Hauses am Stadtrand längst auf Anweisung des Hauptquartieres abgezogen. Als Agent Mason das Schloss der Tür knackte, das von den Katakomben aus ins Haus führte, hatten sie es geschafft.
Die Tür führte in einen Keller. Anna glaubte einen Moment lang, sie seien in ein Bürohaus gestolpert, denn der Keller war ausgebaut und mit sterilen weißen Wänden und einem Parkettboden versehen. Schwere Spinde verhüllten die Wände. Ein gewaltiger Computerterminal stand in einer Ecke. Bildschirme spulten Informationen schneller ab, als das menschliche Auge sie lesen konnte. In eine Wand waren zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schutzanzüge hingen, die aussahen, als setzten sie seit mindestens einem Jahr Staub an. Eine andere Wand war mit Landkarten der Umgebung bepflastert– topographische Landkarten, Stadtpläne, Zugänge, jede mögliche Variante schien sauber zum Nachschlagen neben der nächsten zu hängen.
Mason begab sich auf dem kürzesten Weg zum Terminal, haute flink in die Tasten und öffnete einige Fenster, die Szenen vorstädtischer Normalität zeigten: eine von Menschen verlassene Straße, einen frostigen Hinterhof, eine leere Vorderveranda. Das Haus verfügte über ein internes Sicherheitssystem, das Mason Stück für Stück aktivierte.
» Ich schließe uns ein«, erklärte er. » Fassen Sie bloß kein Fenster oder eine Tür an. Die Klinken stehen unter Strom. Wir haben ein videounterstütztes Zielprogramm, das im Vorraum auf einem Drehbot läuft. Bei einer falschen Bewegung hält der Computer Sie für einen Eindringling. Das wäre für Sie eine erhellende
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