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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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schaute sie an. »Ich würde dich gern freilassen, aber ich kann nicht. Der Schwarze Tod war schon so schlimm genug. Er brachte mehr als ein Drittel der europäischen Bevölkerung unter die Erde. Wenn ich dich herauslasse, könnten deine Nachkommen es noch schlimmer machen.«
    Die Ratte ließ sich auf alle viere fallen und lief im Käfig herum. Im Laufen stieß sie immer wieder gegen das Gitter und rannte in rasender, sinnloser Unruhe im Kreis herum.
    »Ich würde dich herauslassen, wenn ich könnte«, sagte Kivrin. Das Feuer war beinahe ausgegangen. Sie stocherte es wieder auf, aber es war alles Asche. Die Tür, die sie in der Hoffnung offen gelassen hatte, daß der Junge jemanden zurückbringen würde, der bereit wäre, sich ihrer anzunehmen, schlug im Wind zu und tauchte das Innere der Hütte in Dunkelheit.
    Sie werden nicht wissen, wo sie mich suchen sollen, dachte Kivrin, vermutete aber, daß sie noch nicht mit der Suche begonnen hatten. Alle dachten, daß sie oben in der Kammer schliefe und würden erst zur Essenszeit mit der Schale Gerstengrütze oder Hirsebrei zu ihr kommen. Mit der Suche würden sie frühestens nach der Vesper anfangen, und bis dahin würde es dunkel sein.
    Es war ganz still in der Hütte. Der Wind mußte nachgelassen haben. Sie konnte die Ratte nicht mehr hören. In der Aschenglut knackte es, und Funken flogen auf den Boden.
    Kein Mensch weiß, wo ich bin, dachte sie und legte die Hand an die Brust, wie um einer Wiederkehr des stechenden Schmerzes vorzubeugen. Niemanden kümmert es, wo ich bin. Nicht einmal Mr. Dunworthy.
    Aber das war sicherlich nicht wahr. Inzwischen war Eliwys vielleicht nach Hause gekommen und war in die Kammer hinaufgegangen, um nach ihr zu sehen, oder Maisry war vom Stall hereingekommen, oder der Junge war gelaufen, um Leute von den Feldern zu holen, und sie konnten jede Minute bei ihr sein, auch wenn die Tür geschlossen war. Und selbst wenn sie erst nach der Abendvesper merkten, daß sie verschwunden war, konnten sie doch mit Fackeln und Laternen die Suche nach ihr aufnehmen, und die Eltern des Jungen würden kommen und sie finden und jemanden vom Herrenhaus holen. Ganz gleich, was geschieht, sagte sie sich, du bist nicht völlig allein, und das tröstete sie.
    Denn sie war völlig allein. Sie hatte versucht, sich selbst einzureden, daß es nicht so sei, daß eine Ablesung auf den Bildschirmen des Netzes Gilchrist und Montoya verraten habe, daß etwas schiefgegangen war, daß Mr. Dunworthy den Techniker veranlaßt habe, alles noch einmal zu überprüfen, daß sie irgendwie wußten, was geschehen war, und den Absetzort offen hielten. Aber das war nicht der Fall. Sie wußten so wenig wie Agnes und Eliwys, wo sie war. Sie wähnten sie sicher in Skendgate beim Studium des Mittelalters, mit zweifelsfrei lokalisiertem Absetzort und dem Datenspeicher bereits halbvoll von Beobachtungen eigentümlicher Bräuche, landwirtschaftlicher Techniken und ethnischer Merkmale. Daß sie fort war, würde ihnen erst aufgehen, wenn sie in zwei Wochen wieder den Absetzort öffneten.
    »Und bis dahin wird es dunkel sein«, sagte Kivrin.
    Sie saß still und blickte ins Feuer. Es war schon wieder am Ausgehen, und sie legte ein paar Stecken nach, obwohl der Brennholzvorrat mehr als bescheiden war und kaum für einen Tag reichte. War der Junge zu Haus gelassen worden, um Reisig zu sammeln und hatte sich bei ihrem unerwarteten Erscheinen seiner Pflichten erinnert?
    Sie saß allein in dieser elenden Hütte, und niemand wußte, wo sie war, ausgenommen die Ratte, die halb Europa umbringen würde. Es war sinnlos, hier zu bleiben, weil niemand sie finden würde. Sie stand auf, stieß sich wieder den Kopf, schob die Tür zurück und ging hinaus. Noch immer war weit und breit kein Mensch zu sehen. Der Wind war abgeflaut, und klar tönten von Südwesten her die Glockenschläge. Ein paar Schneeflocken trieben aus dem grauen Himmel. Die kleine Anhöhe, auf der die Kirche stand, war schon weiß überzuckert. Kivrin hielt auf die Kirche zu.
    Eine weitere Glocke begann zu läuten. Sie war weiter südlich und näher, aber mit dem höheren, metallischeren Klang, der bedeutete, daß es eine kleinere Glocke war. Auch sie läutete gleichmäßig, blieb aber ein wenig hinter der ersten Glocke zurück, so daß sie wie ein Echo klang.
    »Kivrin! Kivrin!« rief Agnes. »Wo bist du gewesen?« Sie kam herbeigerannt, das runde kleine Gesicht rot vor Anstrengung oder Kälte. Oder Aufregung. »Überall haben wir dich

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