Die Jahre mit Laura Diaz
»Sex«.
»Es kommt nicht darauf an, mit wem du schläfst, sondern wem du vertraust und wen du belügst. Ich habe den Eindruck, daß du niemandem vertraust, Laura, und alle belügst.«
»Begehrst du mich?«
»Ich habe dir schon gesagt, daß du mir gefällst. Aber so, wie die Dinge liegen, brauche ich dich vor allem als Begleiterin und als Krankenschwester. Wenn wir das Problem mit Gefühlen komplizieren, bleibe ich womöglich aus dem einen oder anderen Grund allein und habe keinen, der mich ins Krankenhaus bringt, falls es hart auf hart kommt. Ach, du liebe Güte!«
Wie immer lachte sie ausgiebig, doch Laura ließ nicht locker: »Und der andere Grund? Du hast gesagt: ›aus dem einen oder anderen Grund…‹, was ist der andere?«
»Den sage ich dir nicht. Vielleicht habe ich es nötig, daß du mir morgen genau das gibst, was ich dir heute vorwerfe. Reden wir über praktische Dinge.«
Es war Juli. Das Baby sollte im Dezember kommen. Wenn Diego im Oktober fertig wurde, könnten sie beide rechtzeitig und gefahrlos zurückfahren, damit sie das Kind in Mexiko zur Welt brachte. »Aber wenn Diego zu lange braucht, wie soll ich dann das Kind hier bekommen, in der Kälte, ohne Freunde, ohne jemanden, der mir hilft, außer dir? Und wenn ich früher nach Mexiko zurückfahre, kann ich dann das Kind unterwegs verlieren, bei dem Durcheinander im Zug, wie mich meine lieben Ärzte gewarnt haben?«
Mit einemmal entdeckte Laura eine äußerst verletzliche, beinahe eingeschüchterte kleine Frau mit um den Leib schlotternden weiten Bäuerinnenkleidern, die nicht nur ihre Körperbehinderung, sondern auch ihre Angst verbargen, ihr unmerkliches Zittern, eine nach innen gerichtete Angst, die die körperliche Furcht der gelähmten Frau vergrößerte, wenn nicht gar verdoppelte, indem sie sie durch eine andere, ganz neue ersetzte, die sie mit dem gerade entstehenden kleinen Menschen verband. Es gab eine Komplizenschaft zwischen der Mutter und dem Kind, das in ihrem Bauch wuchs. Niemand konnte in diesen geheimen Kreis eindringen.
Frida lachte laut und bat Laura, ihr zu helfen, die Zöpfe zu flechten, die Röcke und die Bluse richtig anzuziehen, ein Tuch umzulegen und das Oberlippenbärtchen zu kämmen. Laura gab ihr die Hand, und sie gingen aus, hinaus ins Land der Gringos, zu den Dinners und Festen, die man für »den berühmtesten Maler der Welt and Mrs. Rivera« veranstaltete, um mit den Industriemagnaten zu tanzen und sie zu der Frage herauszufordern, warum Frida wie eine Invalidin stolperte, und Frida antwortete damit, das seien Schritte von Volkstänzen aus Oaxaca, erstaunliche indianische Tänze, die ebenso erstaunlich wirkten wie das Gesicht des Antisemiten Henry Ford, als sie ihn bei einem festlichen Abendessen fragte: »Mister Ford, stimmt es, daß Sie Jude sind?« Und sie schockierte die gute Gesellschaft von Michigan mit ihrer vorgetäuschten Unkenntnis, wie grob ihre Worte klangen, wenn sie mit dem höflichsten Lächeln zu Ende eines Banketts sagte: »Shit on you«, oder bei einer Kartenrunde mit Damen der feinen Gesellschaft äußerte: »I enjoy fucking, don't you?« Laura begleitete sie in die glühenden, gekühlten Kinos der hundert Grad Fahrenheit heißen Stadt, Chaplin in »Lichter der Großstadt«, Laurel und Hardy, die Tortenschlachten, die verwüsteten Häuser, die Verfolgungsjagden der Polizei, ein Teller voller Spaghetti, die sich über das Dekollete einer Matrone schlängelten, über das alles lachte sie und lachte, sie ergriff Lauras Hand, weinte vor Lachen, weinte, lachte, weinte, schrie vor Lachen, schrie…
Das Rollbett fuhr unter Lichtern, die wie lidlose Augen waren, und die Ärzte fragten Laura: »Wie fühlt sie sich?« – »Ihr ist sehr heiß, sie bekommt Flecke auf der Haut, sie muß sich übergeben, ihr tut der Uterus weh, eine Eisenstange ist ihr durch die Vagina gestoßen, eine Straßenbahn hat sie umgelegt.« – »Was hat sie heute zu sich genommen?« – »Zwei Glas Sahne und Gemüse, das hat sie wieder erbrochen. Sie ist die Frau, die von einer Straßenbahn entjungfert wurde, wissen Sie? Ihr Mann malt saubere, glänzende Maschinen aus Stahl, aber sie wurde von einer alten, verrosteten Maschine geschändet, die pfeift und pfeift und läuft und läuft, im Kino hat sie geschrien, sie wurde blau, spuckte Blut, man hat sie aus einem Blutsee herausgezogen, sie lag mitten in geronnenem Blut.«
Ein zwölfjähriges Mädchen, das in einem Bett lag und vom Weinen nasse Haare hatte, klein, mager,
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