Die Jahre mit Laura Diaz
bei den Bällen auf der Hazienda San Cayetano vor bereits dreißig Jahren sehen. Sein Bild betäubte sie, das Bild jenes jungen Mannes, der sie auf den nach nächtlichen Orangenbäumen und schlafenden Kaffeeplantagen duftenden Terrassen umworben hatte. Sie bat um Entschuldigung und lief davon.
»Schwerkraft ist kein freier Fall, sie bedeutet Annäherung, gegenseitige Annäherung«, sagte Laura zu ihrem Sohn Danton, der, seit er seinen Vater ins CTM und auch ins Abgeordnetenhaus begleitet hatte, überzeugt war, daß das nichts für ihn war: »Papa hat recht, aber was ist dann meine Sache?« Auch er betrachtete vom Balkon aus den Bosque de Chapultepec und wußte, hinter dem Park lagen Las Lomas de Chapultepec, und dort lebten die Reichen, die neuen oder alten, darauf kam es ihm nicht an, aber dort baute man die neuen Villen mit Garagen für drei Autos und Innenausstattungen, die Pani und Paco – der von La Granja – entworfen hatten, mit Swimmingpools und Rasenflächen für Gardenparties und »aufsehenerregende Hochzeitsfeste« mit Kleidern von Valdés Peza und kleinen Hüten von Henri de Châtillon, bei Matsumoto bestellten Blumen und von Mayita ausgerichteten Banketten.
Wie konnte jemand, der schlicht und einfach arm war wie er, der weder ein altes noch ein neues Vermögen hatte, dorthin gelangen? Denn das hatte sich Danton Lopez Dïaz vorgenommen, als er über die bescheidenen Vorschläge seines Vaters nachdachte: Sollte er Politiker, Unternehmer, Journalist, Offizier werden? Danton entschloß sich, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, sein eigenes Vermögens zu machen, und weil es in Mexiko schwer war, ohne Geld in die höhere Klasse aufzusteigen, blieb dem jungen Jurastudenten kein anderer Ausweg, als sich eine sichere Methode auszudenken, an welches zu kommen. Er brauchte nur die Gesellschaftsnachrichten in den Zeitschriften durchzusehen, um festzustellen, welchen Unterschied Geld machte. Es gab die neue revolutionäre Gesellschaft, die reiche, die in Las Lomas lebte, die unbeständig, aber kühn war, braun-
häutig, mit gepudertem Gesicht und die schamlos mit ihrem rechtmäßig oder unrechtmäßig, in jedem Fall erst vor kurzem erworbenen Besitz glänzte: dunkelhäutige Männer – Militärs, Politiker, Unternehmer –, die mit hellhäutigen Frauen – mittellosen und leidgeprüften Kreolinnen – verheiratet waren. Bei ihrem bewaffneten Marsch vom Norden herab hatten die Revolutionäre die hübschesten jungfräulichen Blumen aus Hermosillo und Culiacân, Torreön und San Luis, Zacatecas und El Bajïo gepflückt. Die Mütter ihrer Kinder. Die Vestalinnen ihrer Heimstätten. Die sich schicksalsergeben mit den Liebschaften ihrer mächtigen Sultane abfanden.
Und es gab die alte aristokratische, verarmte Gesellschaft, die in den Straßen mit den Namen europäischer Städte zwischen Insurgentes und Reforma lebte. Diese Leute bewohnten kleine, aber elegante, um 1918, 1920 erbaute, zweigeschossige Häuser mit Steinfassaden, Balkon und Kutschenschuppen, zur Straße gehender Beletage, wo man Reminiszenzen der Vergangenheit entdecken konnte, Gemälde und Porträts, eingerahmte, auf Samt gebettete Medaillen, Nippes und mit Patina überzogene Spiegel und, hinter dem Empfangssaal, die geheimnisumwitterten Schlafzimmer, das unbekannte Alltagsleben ehemaliger Besitzer von Haziendas, die so groß wie Belgien waren und die ihnen Za-pata, Villa und Cärdenas weggenommen hatten: Wo badeten sie, wie kochten sie, wie überlebten sie nach dem Zusammenbruch ihrer Welt?
Wie beteten sie? Das war deutlich zu sehen. Jeden Sonntag kurz vor ein Uhr gingen die Jungen und Mädchen der guten Gesellschaft zur Messe in der La-Votiva-Kirche an der Ecke von Génova und Reforma. Nach der Zeremonie kamen die jungen Leute im baumbestandenen Abschnitt des Paseo zusammen, sie schwatzten, kokettierten und überlegten, wo sie essen sollten. Wo? Irn El Parador von José Luis, gleich um die Ecke in der Galle de Niza? Im 1-2-3 von Luisito Munoz, in der Galle de Liverpool? Im Jockey Club, im Hipodromo de las Américas? Oder bei einem von jenen Typen mit den pittoresken, vertraulichen Namen: El Regalito, La Bebesa, La Bola, La Nena, La Rana, El Palillo, El Chapetes, El Buzo, El Gato? In Mexiko waren nur die Aristokraten und die Ganoven mit ihren Spitznamen bekannt. Wie hieß eigentlich der Räuber, der Dantöns Urgroßmutter mit einem Machetenhieb die Finger abgeschnitten hatte? Der Protz von, von wo?
Danton erkundete das Terrain, stellte
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