Die Jahre mit Laura Diaz
umgeben, inmitten seiner Schüler. Ein Kommilitone aus der Juristischen Fakultät nahm Danton zu einer dieser Tertulias mit, und als sie über den Paseo de la Reforma liefen, weil sie im Bellinghausen an der Galle de Londres zu Abend essen wollten, sagte er: »Er ist ein faszinierender alter Herr. Aber seine Ideen sind utopisch. Diesen Weg gehe ich nicht.«
Am Nebentisch im Bellinghausen aß Max Aub zusammen mit anderen emigrierten Schriftstellern. Er war ein kleingewachsener, konzentriert wirkender Mann mit lockigem Haar und gewaltiger Stirn, Augen, die sich am Grund eines gläsernen Bassins verirrt zu haben schienen, und einer Miene, in der sich Zorn und Lächeln wie die beiden Seiten einer Medaille nicht voneinander trennen ließen. Während des Kriegs hatte Aub an den Abenteuern André Malraux' teilgenommen und Franco einen »wahrhaftigen Tod« vorausgesagt, der nicht mit irgendeinem Kalenderdatum übereinstimmen würde, weil er mehr als überraschend käme, der Tod des Diktators werde dem Diktator selbst unbekannt bleiben.
»Meine Mama kennt ihn«, sagte Danton zu seinem Kommilitonen. »Sie kommt viel mit Intellektuellen zusammen, weil sie bei Diego Rivera und Frida Kahlo arbeitet.«
»Und weil sie die Freundin eines kommunistischen spanischen Spions war«, sagte Dantons Kommilitone, und das war das letzte, was er sagte, denn der Sohn von Laura Dïaz brach ihm mit einem Schlag die Nase, die Stühle stürzten um, Gläser und Terrinen ergossen sich über die Tischtücher, und Danton wich wütend vor den Kellnern zurück und verließ das Restaurant.
Doch in diesem Mexiko vor Laura Dïaz' Balkon füllte auch Manolete die Stierkampfarenen. Er war Franquist, in Wirklichkeit aber eine postume Ausgeburt El Grecos: Der hagere, trübsinnige, stilisierte Manuel Rodrîguez »Manolete« kämpfte unerschütterlich und kerzengerade von vorn. Er und Pepe Luis Vaz-quez machten sich gegenseitig den Triumph streitig, erfuhr Danton von Juan Francisco, als Vater und Sohn die neue Plaza Monumental besuchten und sich unter sechzigtausend Stierkampfliebhaber mischten, nur um Manolete zu sehen. Pepe Luis war der orthodoxe Sevillaner und Manolete der abweichlerische Corduaner, der die klassischen Gesetze mißachtete und das rote Tuch nicht allein vorstreckte, um ihn zu beherrschen und zum Kampf herauszufordern, sondern sich ihm selbst stellte, der den Stier reizte, täuschte und beherrschte, ohne sich von der Stelle zu rühren, und so setzte er sich der Gefahr aus, daß der Stier gegen ihn selbst, den Torero, anstürmte. Und wenn der Stier den unbeweglichen Stierkämpfer angriff, schrie die ganze Arena vor Angst, hielt den Atem an und brach in ein triumphierendes »Ole!« aus, sobald der wunderbare Manolete die Spannung mit einem überaus langsamen Degenstoß löste und den Stahl in den Leib des Stiers rammte. »Hast du gesehen?« fragte Juan Francisco seinen Sohn, als sie in der dicht zusammengedrängten Menge die Arena verließen und dabei durch lange, die Plaza wie eine Bienenwabe durchziehende Gänge liefen. »Hast du gesehen? Er ist die ganze Zeit nicht zurückgewichen, er hat den Stier von unten heraus beherrscht, während uns allen das Herz stehengeblieben ist!« Doch Danton hatte nur eines behalten: Stier und Stierkämpfer blickten einander ins Gesicht; zwei Gesichter des Todes. Nur scheinbar starb der Stier, und der Stierkämpfer überlebte. In Wahrheit war der Torero sterblich und der Stier unsterblich, der Stier lebte weiter und weiter und weiter, kam wieder und immer wieder heraus, einmal und noch einmal, von der Sonne geblendet, auf den vom Blut eines einzigen unsterblichen Stiers besudelten Sand, der eine Generation sterblicher Toreros nach der anderen vorbeiziehen sah. Wann würde Manolete sterben, in welcher Arena würde er den Tod finden, den er nur scheinbar jedem Stier brachte, wie würde der Stier heißen, der Manuel Rodrîguez »Manolete« den Tod bringen würde, wo wartete er auf ihn?
»Manolete verzaubert den Stier«, sagte Juan Francisco melancholisch. Allein mit seinem Sohn Danton aß er im El Parador nach der Corrida zu Abend.
Sein Sohn wollte die Lektion jenes Nachmittags geheimhalten: Sieg und Ruhm sind vergänglich, wir müssen einen Stier nach dem anderen töten, um unsere eigene Niederlage hinauszuzögern, den Tag, an dem unser Stier uns tötet. Alle Tage, die unser Leben dauert, müssen wir ihm Ohr und Schwanz abschneiden und über ihn triumphieren…
»Es heißt, die Leute verkaufen sogar ihre
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