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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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ich deinen Haß verdient habe, und ich sage dir nicht, ob du mein Vergessen verdient hast.
    Ich möchte glauben, daß ich ihn nicht geliebt habe, als er starb. Seit ich zurückgekommen war, als du nach Kuba fuhrst, habe ich mich unablässig gefragt: Warum nimmt er mich wieder auf? Die mexikanischen Machos verstoßen ihre Frauen und behandeln sie nicht mit Nachsicht. War Juan Francisco mehr, als ich mir vorstellte oder glaubte, von ihm zu wissen?
    Von meinen Söhnen konnte ich sagen, sie sind stark, größer, als ich gedacht habe, aber bei ihm konnte ich mich nur fragen: Ist er schwach oder pervers? Bekennt er sein Scheitern, um die einzige Form der Liebe zu erbitten, die ihm bleibt: Mitleid? Wie konnte ich einen so schwachen Mann verlassen?
    Santiago läßt mich jeden Tag daran denken, daß alles, was ich, liebe, gestorben ist.
    Ich tröste mich, wie wir es alle tun. Die Zeit heilt alle Wunden. Schließlich werde ich es ertragen, daß er nicht mehr da ist.
    Dann wieder reagiere ich heftig und will, daß mein Schmerz nie vorbeigeht, daß die Abwesenheit meines Sohns immer, für immer unerträglich bleibt.
    Dann überwältigt mich mein eigener Stolz. Ich frage mich, ob eine Liebe, die sich nur auf die Erinnerung stützen kann, nicht am Ende erträglich wird. Ich frage mich, ob eine Liebe, die immer ein Schmerz sein will, die Liebkosung des Gedächtnisses besiegen und eine Leere beanspruchen muß, eine große Leere, in der Erinnerung und Zärtlichkeit keinen Platz haben, sondern nur die Abwesenheit, daß man sich mit keinem Trost abfindet…«
    Es kam von dort, woher sie es am wenigsten erwartet hatte. Das Mitleid.
    Es waren die Tränen Juan Franciscos, die er an Santiagos Leichnam vergoß. Der Vater beweinte den Tod des Sohns, als hätte niemand auf Erden ihn inniger, tiefer, weniger auffällig geliebt. Hatte er sich deshalb von ihm ferngehalten und die Nähe Dantons gesucht? Um weniger zu leiden, wenn Santiago gehen müßte? Weinte er, weil er ihm nie nahe war, oder weinte er, weil er ihn mehr als jeden anderen geliebt hatte und ihm nur der Tod erlaubte, seine Gefühle zu offenbaren?
    Als Laura den Vater am Leichnam seines Sohns weinen sah, erinnerte sie sich an zahllose, wie Ohrfeigen wirkende Beleidigungen, als wiederholte sich alles, was ihr Mann und sie einander im Lauf der Jahre gesagt hatten, um sich zu verletzen, nun mit größerer Erbitterung: »Daß ich dich geheiratet habe, war, als hätte ich dem Schicksal die andere Wange hingehalten, rede mit mir nicht wie der Heilige mit der Versucherin, sprich mich an, sieh mir ins Gesicht, warum hast du mich nicht nach meinem Willen beurteilt, dich zu lieben, Juan Francisco, statt mich zu verurteilen, weil ich dich betrüge? Ich weiß nicht, warum ich mir vorgestellt habe, du wärst ein aufregender, mutiger Mann, das haben sie von dir erzählt, immer warst du ein ›von ihm erzählt man sich‹, ein Gerücht, nie die Wirklichkeit, zwischen dir und mir hat es nie Liebe gegeben, es gab eine Illusion, ein Trugbild, keine Liebe, die auf Achtung und Bewunderung beruhte, die bleiben nie bestehen, das Leben mit dir hat mich besiegt, hat mich ratlos und krank gemacht, ich hasse dich nicht, du ermüdest mich, du liebst mich zu sehr, ein wahrer Liebender darf uns nicht zu sehr lieben, er darf uns nicht lästig werden, Juan Francisco, unsere Ehe ist tot, alles oder nichts hat sie getötet, wer weiß, aber wir müssen sie begraben, mein Lieber, sie stinkt, sie stinkt…«
    Und nun könnte sie ihm sagen: Danke, dank deiner allzu bequemen Liebe und Bewunderung konnte ich mich zu etwas Besserem erheben, zu jener ständigen Erwartung, die für die Leidenschaft notwendig ist, durch dich bin ich zu Jorge  Maura gekommen, der Widerspruch zu dir hat es mir ermöglicht, Jorge  so zu verstehen und zu lieben, wie ich dich niemals lieben konnte.
    »Ich dachte, ich hätte mehr Kraft, als ich wirklich habe, Laura. Verzeih mir.«
    »Ich darf nicht den besten Teil meines Wesens dazu verurteilen, im Grab der Erinnerungen zu ruhen. Verzeih du mir.«
    Und nun sah sie, daß er an der Leiche des ausgemergelten Sohns weinte, und sie hätte ihn, Juan Francisco, gern um Verzeihung gebeten, weil es ihr dreißig Jahre lang nicht gelungen war, über den Schein hinauszugelangen, über die Legenden, die Unkenntnis um seine Herkunft, den Mythos seiner Vergangenheit, den Verrat seiner Gegenwart.
    Schrecklich war, daß ihnen erst der Tod des Sohns erlaubte, endlich miteinander zu reden.
    Schrecklich war, daß

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