Die Jahre mit Laura Diaz
Yorker Bühne und in jedem Hollywood-Film erahnten. Diese neuen Emigranten fanden sich bei den Riveras zusammen. Viele kamen nicht wieder, weil sie den marxistischen Wortschwall Diegos satt hatten oder über die Verehrung Fridas für Väterchen Stalin empört waren, dem sie ein Porträt und maßlose Lobeshymnen widmete, obwohl (oder vielleicht weil) Stalin den Geliebten Fridas, Leo Trotzki, ermorden ließ.
Laura erinnerte sich an Jorge Mauras Worte: »Man soll nicht das Leben ändern, man soll nicht die Welt verändern. Man muß das Leben vielgestaltiger machen, muß die Illusion aufgeben, daß die wiedergefundene Einheit der Schlüssel zu einem neuen Paradies wäre. Man muß die Unterschiede würdigen. Unterschiede stärken die Identität.« Jorge hatte gesagt, er stehe zwischen zwei Wahrheiten. Die eine sei, daß die Welt sich retten werde, die andere, daß sie verurteilt sei. Beide Wahrheiten träfen zu. Die korrupte Gesellschaft des Kapitalismus sei verurteilt, die idealistische Gesellschaft der Revolution ebenso.
»Glaub an die Chancen der Freiheit«, flüsterte eine herzliche Stimme in Lauras Ohr und setzte sich gegen die tiefsinnigen Debatten und oberflächlichen Plaudereien bei den Riveras durch. »Denke daran, daß Politik für die persönliche Anständigkeit zweitrangig ist, denn ohne Anständigkeit lohnt es sich nicht, in einer Gesellschaft zu leben…«
»Jorge!« rief Laura mit unvergleichlicher Erschütterung. Sie fuhr herum und blickte in das Gesicht des noch jungen Manns, der volles, aber nicht mehr wie früher schwarzes, sondern mit weißen Büscheln gesprenkeltes Haar und ebensolche Augenbrauen hatte.
»Nein. Es tut mir leid, daß ich dich enttäuschen muß. Basilio. Basilio Baltazar. Erinnerst du dich an mich?«
Sie umarmten sich mit einer Rührung, die sich mit einer Wiedergeburt vergleichen ließ, wirklich so, als würden die beiden in diesem Augenblick wiedergeboren und könnten sich durch die erregende Begegnung auf der Stelle verlieben und wieder die jungen Leute von vor fünfzehn Jahren sein, nur daß beide bereits in Begleitung waren. Jetzt und für immer. Laura Dïaz in der Begleitung Jorge Mauras, Basilio Baltazar in Begleitung von Pilar Méndez. Und Jorge auf seiner Insel in der Begleitung Raquels, der anderen Mendes.
Sie sahen sich mit unermeßlicher Zärtlichkeit an und konnten für eine Weile nicht sprechen. »Da siehst du es.« Basilio lächelte trotz seiner feuchten Augen. »Wir sind nie aus den Problemen herausgekommen. Wir haben nie aufgehört, andere zu verfolgen oder selbst verfolgt zu werden.«
»Ich weiß«, sagte sie mit gebrochener Stimme.
»Es gibt ziemlich hübsche Leute unter diesen Gringos. Beinahe alle sind Film- und Theaterregisseure, Schriftsteller, außerdem gibt es den einen oder anderen Veteranen aus unserem Krieg und aus der Lincoln-Brigade, erinnerst du dich?«
»Wie sollte ich das vergessen, Basilio?«
»Fast alle leben in Cuernavaca. Warum fahren wir nicht an einem Wochenende zusammen hin und schwatzen mit ihnen?«
Laura Dïaz konnte ihrem alten Freund, dem spanischen Anarchisten, nur einen Kuß auf die Wange drücken, als küßte sie wieder Jorge Maura, als erblickte sie zum erstenmal das stets verborgene Gesicht Armonia Aznars, als stiege das Bild ihres angebeteten Bruders vom Meeresgrund auf. Basilio Baltazar wurde zum Katalysator einer Vergangenheit, der Laura Dïaz nachtrauerte und die sie für auf ewig verloren hielt.
»Ach, nein. Du läßt unsere Vergangenheit wieder aufleben, Basilio. Danke.«
Nach Cuernavaca zu fahren und über Politik zu diskutieren, diesmal aber mit Nordamerikanern und nicht mit Spaniern oder mexikanischen Arbeiterführern, die von der Revolution, von Galles und Morones, verraten worden waren – die Vorstellung störte und bekümmerte sie, als sie spät in die Avenida Sonora heimkehrte, wo allein Juan Francisco auf sie wartete, keine Maria de la O und kein Santiago und kein Danton, der verheiratet war und in Las Lomas wohnte, am Ende nun doch in einem grauenhaften neubarocken Tortenhaus, das Laura schon aus ästhetischem Empfinden nie betreten würde, wie sie geschworen hatte.
»Du hast gesagt, du würdest den Geschmack deiner Schwiegereltern ändern, Danton.«
»Warte noch ein bißchen, Mama. Es ist ein Entgegenkommen, ein Kompromiß. Ich muß meinem Schwiegervater Mister Aspirin diesen Gefallen tun, um die Oberhand zu gewinnen. Er ist schon halb verkalkt, mach dir keine Sorgen, der blickt nicht mehr
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