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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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durch…«
    »Und deine Frau?«
    »Mami, ich schwöre dir, die arme Magda ist völlig ahnungslos, die wußte nicht mal, wie man rülpst.«
    »Du bist gut gelungen, aber ein vulgärer Kerl.« Laura konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
    »Ach was, ich habe sie überzeugt, daß der Klapperstorch das Kind aus Paris bringt.«
    »Das Kind?« fragte Laura und umarmte ihren Sohn.
    Mit zweiundfünfzig werde ich Großmutter, sagte sich Laura auf dem Rückweg von Coyoacân, wo sie ihrem Freund Basilio Baltazar wiederbegegnet war. Sie war vierzig gewesen, als sie Jorge  Maura kennenlernte. Jetzt lebe ich allein mit Juan Francisco, aber ich werde Großmutter.
    Als ihr Juan Francisco in Morgenmantel und Pantoffeln die Tür öffnete, erinnerte sie das an die Tatsache, daß sie noch eine Ehefrau war, ob es ihr gefiel oder nicht. Widerwillig verwarf sie einen allzu großmütigen Gedanken, der ihr in diesem Augenblick gekommen war. Man überlebte nur in der Familie. Nur diejenigen, die in der Familie blieben, konnten sich behaupten. Die Glühwürmchen, die in der Welt nach Lichtern suchten, verbrannten sich und gingen zugrunde. Gewiß hatte das ihr Großvater gedacht, Don Felipe Kelsen, der alte Deutsche, der den Ozean überquerte, um sich in Catemaco auf seine Kaffeeplantage zurückzuziehen und sie nie wieder zu verlassen. War er glücklicher gewesen als seine Nachkommen? Man durfte die Kinder nicht nach den Eltern beurteilen, und noch viel weniger die Enkel. Die Vorstellung, daß die Trennung zwischen den Generationen niemals so tief wie heute gewesen war, stimmte nicht. Die Welt bestand aus Generationen, die voneinander durch Abgründe getrennt waren. Aus Paaren, die manchmal durch ein himmelschreiendes Schweigen geteilt waren, wie jenes, das Großvater Felipe selbst von seiner schönen, verstümmelten Gattin Dona Côsima getrennt hatte, aus deren geistesabwesendem Blick die gefährliche und stattliche Gestalt des Protzes von Pa-pantla niemals verschwunden war. Als sie Juan Francisco jetzt so ansah, wie er die Tür in Morgenmantel und Pantoffeln aufmachte – der rechte Hausschuh hatte ein Loch, damit der große rechte Zeh ins Freie hinaussehen konnte, der Morgenmantel war aus Plüsch und hatte grellbunte Streifen wie ein als Handtuch benutzter Umhang –, überkam sie ein zwanghaftes Lachen, weil sie daran dachte, daß ihr Mann womöglich ein heimlicher Sohn jenes Protzes von Papantla war.
    »Worüber lachst du, Frau?«
    »Darüber, daß wir Großeltern werden, Alter«, stieß sie unter hysterischen Lachsalven hervor.
    Die Nachricht, daß seine Schwiegertochter, die kleine Ayub Longoria, schwanger war, bedeutete das Todesurteil für Juan Francisco, ohne daß er sich dessen bewußt wurde. Die Ankündigung einer bevorstehenden Geburt schien das Opfer eines vorzeitigen Todes zu verlangen, damit das Neugeborene den Platz einnehmen konnte, den der nutzlose Alte besetzt hielt, der schon über die Fünfundsechzig hinaus war. Eine Zahl, die sie ungefähr schätzte, sagte sich Laura lächelnd, denn schließlich hatte niemand seine Geburtsurkunde gesehen. Seit jener Nacht, als er ihr die Tür des einsamen Hauses aufmachte, sah sie ihn als Toten. Sie entzog ihm die Zeit, die ihm noch vergönnt war.
    Es blieb keine Zeit mehr für ein paar trübsinnige Zärtlichkeiten.
    Sie sah ihm zu, wie er die Tür zumachte, zweimal den Schlüssel umdrehte und das Schloß vorlegte, als gäbe es in dieser armseligen Stätte etwas, das es wert wäre, gestohlen zu werden.
    Es blieb keine Zeit mehr, um zu sagen, daß er alles in allem ein glückliches Leben geführt hatte.
    Mit den Pantoffeln schlurfend ging er in die Küche, weil er sich einen Kaffee kochen wollte, der ihn einschläfern und ihm gleichzeitig das Gefühl geben würde, etwas Nützliches, etwas Selbständiges ohne Lauras Hilfe zu tun.
    Es blieb keine Zeit mehr, um dieses winterlich starre Lächeln abzulegen.
    Langsam schlürfte er den Kaffee und tunkte die Reste eines Weißbrots in das Gebräu.
    Es blieb keine Zeit mehr, eine gealterte Seele zu verjüngen, selbst wenn man an ihre Unsterblichkeit glaubte, könnte man sich nicht vorstellen, daß Juan Franciscos Seele überlebte.
    Er stöberte mit einem Zahnstocher zwischen den Zähnen.
    Es blieb keine Zeit mehr, umzukehren, die Jugendideale wiederzufinden und eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung zu schaffen.
    Er stand auf und ließ das schmutzige Geschirr auf dem Tisch stehen, das Dienstmädchen sollte es abwaschen.
    Es blieb keine Zeit mehr

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