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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Frau erschöpfend wiedergeben konnte, die sich barfuß wie eine Katze in ihrem Haus bewegte und der eine andere Katze nachlief als Doppelgängerin ihrer Herrin, die vom ganzen Katzengeschlecht wegen ihres herausfordernden Profils, ihres kleinen Kinns, ihrer schwermütigen Augen und ihres allumfassenden, unbezwinglichen Lachens begehrt und zugleich beneidet wurde.
    Maria Luisa Elïo hatte ein Geheimnis. Seit 1939 versteckte sich ihr Vater auf einem Dachboden in einem navarresischen Dorf, weil ihn die Falange zum Tode verurteilt hatte. Darüber durfte sie nicht sprechen, doch ihr Vater hauste im Blick der Tochter, in ihren Augen, die so märchenhaft klar leuchteten wegen des Schmerzes, des Geheimnisses und der Erwartung jenes Gespenstes, das eines Tages aus Spanien entkommen und sich in Mexiko vor seiner Tochter als das zeigen könnte, was es war: ein Fleisch gewordenes Phantom, etwas Vergessenes, das auf einem leeren Balkon wieder heraufbeschworen wurde.
    Ein anderes Gespenst, das dagegen allzusehr aus Fleisch und Blut war, sich jedoch schließlich im sinnlichen Phantom seiner Worte auflöste, war Luis Cernuda, ein eleganter, tadellos gekleideter homosexueller Dichter, der hin und wieder in México-Stadt auftauchte und von seinem Kollegen Octavio Paz empfangen wurde. Sie stritten sich, weil Cernudas Arroganz unverschämt und Paz' Arroganz trügerisch war, doch am Ende versöhnten sie sich dank ihrer gemeinsamen poetischen Inbrunst. Man kam allgemein zu der Überzeugung, Luis Cernuda sei der größte spanische Lyriker seiner Generation. Laura Dïaz wollte ihn auf Distanz bringen, um ihn deutlicher sehen zu können, ohne das Scheinbild des Madrider Dandys, mit dem Cernuda sich tarnte, und darum bat sie ihn, er solle etwas vorlesen:
    »Ich will leben, wenn die Liebe stirbt…
    So erweckt dein Tod in mir das Verlangen zu sterben,
    Wie dein Leben in mir die Lust zu leben erweckte.«
    Ihr fehlte noch Basilio Baltazar, doch sie konnten kein Treffen vereinbaren, der Zeitplan für Lauras Ausstellung war nicht mit Basilios Hochschulferien in Einklang zu bringen. Also hängte Laura mitten in der Galerie einen leeren Rahmen auf, mit dem Namen ihres alten Freundes daneben.
    Dieses unsichtbare Bild war gleichzeitig eine Ehrung Jorge  Mauras. Laura hatte beschlossen, seine Ferne und Anonymität zu achten, denn das war ja der Wunsch dieses Mannes, den sie am innigsten geliebt hatte. Vielleicht durfte Basilio in der Bildergalerie der spanischen Emigranten nicht ohne seinen Gefährten Jorge  erscheinen.
    Und Vidal? Er war nicht der einzige Verschwundene.
    Malü Block, die Leiterin der Galerie, erzählte Laura Tage nach der Eröffnung, daß etwas Sonderbares vor sich gehe: Jeden Abend gegen achtzehn Uhr betrete eine schwarzgekleidete Frau den Ausstellungssaal und bleibe eine ganze Stunde vor dem leeren Bildrahmen Basilio Baltazars stehen – keine Minute mehr und keine weniger, obwohl sie nie auf die Uhr sehe.
    Sie bewege sich fast überhaupt nicht, manchmal verlagere sie das Körpergewicht von einem Fuß auf den anderen oder trete einen Zentimeter zurück, neige auch den Kopf zur Seite, als wolle sie besser beurteilen, was gar nicht da war: das Bild Basilios.
    Laura war unschlüssig, ob sie ihrer natürlichen Neugier nachgeben oder Diskretion wahren sollte. Eines Abends dann betrat sie die Galerie und sah die schwarzgekleidete Frau, die vor dem weißen Bild des Abwesenden stand. Sie wagte es nicht, näher zu kommen, doch die andere, die geheimnisvolle Besucherin, drehte sich um, als zöge Lauras Blick sie magnetisch an, und ließ sich ansehen: eine ungefähr vierzigjährige Frau mit blauen Augen und langen Haaren, deren Blond beinahe sandfarben war.
    Sie betrachtete Laura, lächelte ihr aber nicht zu, und Laura war für den unerschütterlichen Ernst der Frau dankbar, weil sie sich davor fürchtete, was sie entdecken würde, wenn die geheimnisvolle Besucherin den Mund aufmachte. So eindrucksvoll wirkte die kalte und zugleich nervöse Haltung, mit der die Galerie-besucherin jede Erregung in ihrem Blick unterdrücken wollte; was ihr nicht gelang, und doch ließ sie ihren Mund das Geheimnis für sich behalten, wobei es ihr offensichtlich schwerfiel, ihn nicht aufzumachen. Um was nicht zu zeigen? Die Zähne? fragte sich Laura. Will diese Frau etwa ihre Zähne vor mir verstecken? Laura Dïaz, die daran gewöhnt war, Blicke zu entschlüsseln und aus ihnen Gleichnisse herauszulesen, sah in den Augen der Frau plötzlich aufleuchtende Monde,

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