Die Jahre mit Laura Diaz
Zahlen bei einer Abendgesellschaft aufgefordert wurde, sich zu erklären, sagte er, manchmal sei es notwendig, die Freude hinauszuzögern, während man seine Pflicht erfülle, womit man die Freude am Ende verdoppele.
Die Teilnehmer der Gesellschaft schienen den Worten Fernandos beizupflichten, allein den Dichter Salvador Dïaz Mirön forderten sie zu einem spöttischen Kommentar heraus: »Don Fernando, ich hatte ja nicht geahnt, daß Sie barocker sind als der leibhaftige Göngora.«
Don Fernando ergründete keine fremden Geheimnisse, ebenso ergründete niemand das seine – vielleicht, weil es ein solches Geheimnis überhaupt nicht gab. Außer der vollkommenen Gattin, seiner zweiten Frau Leticia, die genau wie er war. Elf Jahre lang besuchte Leticia, begleitet von ihrer Halbschwester Maria de la O, einmal monatlich ihren Mann in Veracruz. Fernando nahm ein Zimmer im Hotel Diligencias, damit sie allein sein konnten, während Maria de la O diskret verschwand, und nur Dona Cosima Kelsen, die Großmutter mit den fehlenden Fingern, ahnte, wohin sie ging. Alle drei Monate kam Fernando seinerseits nach Catemaco, begrüßte den deutschen Großvater und spielte mit der kleinen Laura.
In der Hafenstadt bewohnten Vater und Sohn benachbarte Räume in einer Pension, Santiago das Schlafzimmer, damit er studieren und schreiben konnte, Fernando das Wohnzimmer, als käme er nur zu einem kurzen Besuch zwischen den Bürostunden. Jeder hatte sein Waschbecken und seinen Spiegel. Das öffentliche Bad war zwei Häuserblocks entfernt. Eine kraushaarige Schwarze kümmerte sich um das Nachtgeschirr. Die Mahlzeiten gab es in der Pension.
Jetzt war alles anders. Die über der Bank liegende Wohnung des Direktors hatte allen Komfort, einen großen Saal mit Blick auf die Molen, ein Korbsofa für die Kühle, lackierte Holztische mit Marmorplatten, Schaukelstühle, Nippes, elektrische Lampen, aber alte Wandleuchter und Kommoden, deren Vitrinen alle möglichen Meißener Figuren zeigten – Höflinge in galanten Posen, träumerische kleine Schäferinnen und zwei typische Bilder: Auf dem ersten ärgerte ein Gassenjunge mit einer Rute einen schlafenden Hund, auf dem zweiten biß der Hund dem kleinen Jungen in die Waden, der Junge konnte deshalb nicht über die Mauer springen und ließ weinend die Rute fallen.
»Let sleeping dogs lie…«, sagte Señor Dïaz jedesmal, wenn er die Bilder betrachtete, selbst wenn er sie nur mit einem flüchtigen Blick streifte.
Im Speisezimmer standen ein Tisch für zwölf Gäste und weitere Vitrinen, die mit handdekoriertem Geschirr vollgestellt waren, das Szenen aus den napoleonischen Kriegen zeigte, und manche Stücke waren mit Goldreliefs in Girlandenform umrandet.
Der Vorraum des Speisezimmers oder die Pantry, wie Fernando den Raum nannte, lag zwischen dem Speisezimmer und der Küche, die nach Krautern, Kochen und in der Mitte geteilten, ausblutenden Tropenfrüchten duftete. Eine Küche mit Herden und »Comales« genannten Röstplatten, wo das Feuer unter den Pfannen und Töpfen, von unermüdlichen, Palmblattfächer schwenkenden Händen angefacht werden mußte, damit es weiterbrannte. Nichts freute Dona Leticia mehr, als die Küchenöfen aus Ziegeln und Eisen zu beaufsichtigen und energisch die Kohlenglut anzufächeln, die, wenn man sie schürte, die Brühen, den Reis und die Gerichte brodeln ließ. Währenddessen buken die InDïaz aus der Sierra de Zongolica die Tortillas und der kleine Neger Zampaya goß die Blumen in den Fluren und summte etwas dazu, das wie eine Hymne auf sich selbst klang:
»Der Neger Zampaya kennt einen Tanz, da bleibt dir die Luft weg, ganz, ganz, ganz…«
Manchmal hörte die kleine Laura, den Kopf in den Schoß ihrer Mutter gelegt, entzückt zum x-ten Mal die Geschichte, wie sich ihre Eltern auf den Fiestas zu Maria Lichtmeß in Tlacotalpan begegnet waren, einem kleinen Dorf wie aus einem Spielzeugbaukasten. Dort tanzten an jedem zweiten Februar alle, selbst die Alten, zum Klang der kleinen Requinto- und Jarana-Gitarren auf den Brettergerüsten am Rio Papaloapan, auf dem die Heilige Jungfrau von Boot zu Boot zog, während die Dörfler wetteten, ob sie in diesem Jahr das Haar trug wie im letzten, jenes von Dulce Maria Estevez, das diesmal von Maria Elena Munoz mit großer Opferbereitschaft gespendet worden war, denn die Jungfrau benötigte jedes Jahr einen neuen und frischen Haarschopf. Für anständige Señoritas war es eine große Ehre, ihr Haar zu opfern und es der Jungfrau zu
Weitere Kostenlose Bücher