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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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veröffentlichen?«
    »Tante Virginia, Vasconcelos ist nicht mehr Minister. Er gehört zur Opposition gegen Galles. Außerdem habe ich ihn nie kennengelernt.«
    »Von Politik verstehe ich nichts. Warum regieren uns nicht die Dichter?«
    »Weil sie keine Kröten schlucken können, ohne das Gesicht zu verziehen.« Laura lachte.
    »Was? Was sagst du da? Bist du verrückt? Du kleines Äff-chen!«
    Obwohl die drei Schwestern gemeinsam entschieden hatten, eine Pension zu unterhalten, arbeitete in Wirklichkeit nur Leticia. Ausgemergelt, nervös, groß, kerzengerade und mit angegrautem Haar, eine Frau von wenigen Worten, aber vielsagender Treue, bereitete sie die Mahlzeiten vor, machte die Zimmer, goß die Pflanzen, fleißig vom Schwarzen Zampayita unterstützt, der das Haus auch weiter mit seinen Tänzen und Liedern erfreute, von denen man nicht wußte, woher sie kamen:
    »Ora la cachimbâ-bimbâ-bimbâ Ora la cachimbandâ, Tanz hierhin, meine Schwarze, Tanz dorthin, meine Schwarze.«
    Laura war verblüfft, als sie das weiße Drahthaar auf dem Kopf des Schwarzen sah. Sie hielt es für sicher, daß Zampayita in geheimem Kontakt mit einer Sekte tanzender Hexen und einem nicht enden wollenden Chor unsichtbarer Stimmen stand. Wir sind die, die den Körper meines Bruders Santiago dem Meer übergeben haben, wir sind die Zeugen…
    Und nun blickte Laura zur Dachkammer Armonia Aznars hinüber, dachte an sie, und ohne ersichtlichen Grund auch an Carmela, die keinen Familiennamen hatte und in Mexico-Stadt im Dienstbotenzimmer wohnte.
    Leticia beherbergte vor allem alte Veracruzaner Bekannte, die sich auf der Durchreise befanden, doch nun, da Laura, die Kinder und Maria de la O zu Besuch gekommen waren, ganz abgesehen von den beiden lebenslänglichen und völlig mittellosen Pensionärinnen, den Tanten Hilda und Virginia, gab es nur noch Platz für zwei Gäste, und Laura entdeckte zu ihrer Überraschung den schlagartig gealterten großen, blonden Tennisspieler mit den kräftigen, behaarten Beinen wieder, der die Mädchen auf den Bällen in San Cayetano drangsaliert hatte.
    Er begrüßte sie mit einer entschuldigenden und unterwürfigen Geste, die ebenso unerwartet wie seine Anwesenheit war. Er arbeite als Handlungsreisender, sagte er, er verkaufe Autoreifen auf der Route Cördoba-Orizaba-Xalapa-Veracruz. Gott sei Dank hätte man ihn nicht in die Hafenstadt Coatzacoalcos geschickt, die sei eine wahre Hölle. Man habe ihm einen eigenen Wagen gegeben – sein Gesicht leuchtete auf, wie damals, 1915, als er frenetisch den Cakewalk tanzte –, allerdings gehöre er nicht ihm, sondern der Firma.
    Der zweite Gast sei ein alter Mann, sagte Leticia: »Er verläßt sein Zimmer nicht, ich bringe ihm das Essen.«
    Eines Abends unterhielt sich Leticia lange an der Tür, so daß das Tablett mit dem Essen des Gastes in der Küche kalt zu werden drohte. Also nahm Laura es und trug es in aller Ruhe zum Zimmer jenes Mannes, der sich nie blicken ließ.
    Er saß auf der Bettkante und hatte etwas in der Hand, das er sofort versteckte, als er Lauras Schritte hörte. Dabei vernahm sie ein unmißverständliches Geräusch, das der Kugeln eines Rosenkranzes. Als Laura das Tablett neben den Gast stellte, spürte sie, daß ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper lief, ein plötzlicher Schauder des Wiedererkennens, der unendlich viele Schleier des Vergessens, der Zeit und in diesem Fall ganz besonders der Abscheu zerriß.
    »Sie, Herr Pfarrer!«
    »Du bist Laura, nicht wahr? Verrate nichts, bitte. Bring nicht deine eigene Mutter in Gefahr.«
    Lauras Gedanken mußten einen riesigen Sprung in die Vergangenheit machen, um den jungen dunkelhäutigen, unnachgiebigen Dorfpfarrer wiederzufinden, der eines Tages mit dem Inhalt der Spendentruhe verschwunden war.
    »Pater Elzevir.«
    Der Pfarrer ergriff Lauras Hände.
    »Wieso weißt du das noch? Du warst doch erst ein kleines Mädchen.«
    Sie brauchte ihn nicht zu fragen, warum er sich hier versteckte. ›Verrate nichts, bitte. Bring nicht deine eigene Mutter in Gefahr.‹ Sie brauche ihn nichts zu fragen. Er sei mit seinem Raub nicht sehr weit gekommen. Er sei ein Feigling. Das gebe er zu. Als die Polizei ihm schon auf den Fersen gewesen sei, habe er gedacht, es sei besser, sich der Barmherzigkeit der Kirche anzuvertrauen, denn die Gendarmen des porfiristischen Regimes zeigten nicht die geringste Herzensregung.
    »Ich habe Vergebung erfleht, und man hat sie mir gewährt. Ich habe gebeichtet, und man hat mir die

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