Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
verfuhr er in gleicher Weise mit der zweiten, dann ebenso mit der dritten, mit der vierten und gelangte so bis zum Ende des Absatzes.
    Während des Schreibens vermied er es absichtlich, zu prüfen, ob diese Vereinigung von Buchstaben verständliche Worte ergab. Er hätte ja ein Stümper in seinem Fache sein müssen, wenn das zuletzt nicht der Fall wäre. Nein – er geizte nach dem Vergnügen, den ganzen Absatz flottweg und in einem Athemzuge zu lesen. Er war fertig.
    »Nun wollen wir lesen!« rief er.
    Er las.
    Großer Gott, welche Mißlaute! Die von ihm mit Hilfe seines Alphabetes gebildeten Zeilen hatten gerade so wenig Sinn und Verstand, wie jene des Documentes. Sie bildeten eine andere Reihe von Buchstaben, weiter nichts, jedenfalls keine Wörter, keinen verständlichen Satz. Kurz, seine Niederschrift erschien nicht minder hieroglyphisch als das ursprüngliche Kryptogramm.
    »Alle Wetter und Teufel!« brummte der Richter Jarriquez bei dieser beschämenden Enttäuschung vor sich hin.
Dreizehntes Capitel.
Worin von Chiffren und Ziffern die Rede ist.
    Es war jetzt um sieben Uhr Abends. Noch immer in seine Kopszerbrechereien vertieft, hatte der Richter Jarriquez, ohne doch einen Schritt vorwärts gekommen zu sein, zu essen, zu trinken und auszuruhen vergessen, als er an die Thür seines Zimmers klopfen hörte.
    Wahrlich die höchste Zeit! Noch eine Stunde, und die ganze Gehirnsubstanz des hochweisen Beamten wäre unter der, seinen Kopf jetzt durchglühenden Hitze elendiglich geschmolzen.
    Als er mit mürrischer Stimme ein, Herein!« gerufen, erschien Manoel auf der Schwelle.
    Der junge Arzt hatte seine, mit Versuchen zur Entzifferung des wichtigen Documentes beschäftigten Freunde an Bord der Jangada zurückgelassen und sich davongeschlichen, um den Richter Jarriquez aufzusuchen. Es verlangte ihn zu erfahren, ob dieser in seinen Bemühungen erfolgreicher gewesen sei. So stellte er sich bei ihm mit der Frage ein, ob er endlich die Methode, nach der das Document abgefaßt war, ausgegrübelt habe. Der Beamte war nicht gerade bös darüber, Manoel zu sehen. Er befand sich eben in jenem Zustande nervöser Ueberreiztheit, den die Einsamkeit so leicht erzeugt. Er mußte Jemand haben, gegen den er sich aussprechen konnte, vorzüglich wenn der Andere sein Interesse an der Lösung des schwierigen Räthsels theilte. Manoel war also ganz und gar sein Mann.
    »Herr Richter, begann Manoel im Eintreten, eine Frage: haben Sie mehr Erfolg gehabt als wir?…
    – Setzen Sie sich zunächst nieder, rief der Richter Jarriquez, der sich selbst erhob und durch das Zimmer hinschritt. Setzen Sie sich, ich bitte! Befinden wir uns Beide auf den Füßen, so wären Sie verleitet, nach der einen Seite zu gehen und ich vielleicht nach der anderen, dazu wäre der Raum zu klein.«
    Manoel setzte sich und wiederholte seine Frage.
    »Nein… ich bin leider auch nicht glücklicher gewesen! antwortete jetzt der Beamte. Ich weiß noch nicht mehr als früher und kann Ihnen weiter keine Mittheilungen machen, als daß ich ganz im Allgemeinen zu einer gewissen Ansicht gekommen bin.
    – Und diese wäre, Herr Richter? Sprechen Sie!
    – Daß das Document nicht auf conventionellen Zeichen basirt, sondern auf einer Chiffre, wie man in der Kryptologie zu sagen pflegt, oder, um es genauer auszudrücken, auf einer Zahl.
    – Nun, und ist es denn nicht stets möglich, eine Geheimschrift dieser Art zu lesen?
    – O ja, erwiderte der Richter Jarriquez, gewiß, wenn ein Buchstabe stets an Stelle eines bestimmten anderen gesetzt, wenn z. B.
a
immer durch ein
p
dargestellt ist, ein
p
durch ein
x
… u. s. w. Wenn das nicht der Fall ist, so spottet es jeder Mühe.
    – Und in unserem Document?…
    – In dieser Schrift wechselt die Bedeutung jedes Buchstaben je nach der willkürlich angenommenen Chiffre. So wird etwa ein
b
, welches zuerst durch ein
k
dargestellt war, später ein
z
, weiterhin vielleicht ein
m
, ein
n
, ein
f
oder ein beliebiger anderer Buchstabe.
    – Und in diesem Falle?…
    – In diesem Falle bedauere ich, Ihnen eröffnen zu müssen, daß das Kryptogramm gar nicht zu entziffern ist.
    – Nicht zu entziffern! rief Manoel, nein, Herr Richter, wir müssen nothwendig dazu gelangen, den Schlüssel zu diesem Document zu finden, von dem das Leben eines Ehrenmannes abhängt!«
    Manoel hatte sich in plötzlicher Erregung erhoben; er konnte sich nicht mehr bemeistern. Die erhaltene Antwort erschien ihm so niederschmetternd, daß er sie nicht als die letzte

Weitere Kostenlose Bücher