Die Jangada
Diese Kapelle wurde denn auch in der Mitte der Jangada errichtet und auf dem Dache derselben ein kleiner Glockenthurm angebracht.
Sie war freilich etwas beschränkt und hätte das ganze Personal an Bord nicht fassen können; dagegen hatte man dieselbe reich geschmückt, und wenn Joam Garral seine nette Wohnung, ganz wie auf der Ansiedlung, besaß, so hatte gewiß Padre Passanha keine Ursache, die ärmliche Kirche von Iquitos zu vermissen.
Das war also das merkwürdige Bauwerk, welches den ganzen Amazonenstrom hinuntergleiten sollte. Da lag es auf dem Strande, in Erwartung, daß es das Wasser selbst flott machen würde. Nach allen Berechnungen und Erfahrungen bezüglich des Hochwassers konnte das nicht lange auf sich warten lassen.
Am 5. Juni war Alles bereit. Der am Tage vorher eingetroffene Steuermann war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, sehr geschickt in seinem Berufe, doch daneben ein wenig dem Trunke ergeben. Trotzdem hielt Joam Garral große Stücke auf ihn und hatte denselben schon wiederholt zur Besorgung größerer Holztransporte nach Belem zu seiner Zufriedenheit verwendet.
Es muß übrigens zugestanden werden, daß Araujo – so lautete sein Name – niemals besser sah, als wenn ihm einige Glas des kräftigen Ratafia, der aus dem Safte des Zuckerrohres gewonnen wird, die Augen schärften. Er reiste auch nie ohne Begleitung einer großen, mit diesem Liqueur gefüllten Dame jeanne, der er sehr fleißig den Hof machte.
Seit einigen Tagen schon bemerkte man das Ansteigen des Stromes. Von Stunde zu Stunde hob sich das Niveau desselben, und während der achtundvierzig Stunden, welche dem höchsten Stande vorhergingen, mußte das Wasser genügend anschwellen, um den Strand der Fazenda zu überfluthen, nicht aber, um den Holztrain schon flott zu machen.
Da man sich über die Höhe, welche das Wasser gegenüber dem niedrigsten Stande desselben erreichen mußte, vollkommen im Klaren war, erwarteten alle Betheiligten diese Stunde mit leicht erklärlicher Erregung. Wenn aus unerklärlicher Ursache das Wasser des Amazonenstromes nämlich nicht genug anschwoll, um die Jangada aus dem Sande zu heben, so hätte man ja die ganze gewaltige Arbeit von vorn beginnen müssen. Da die Abnahme der Hochfluth aber sehr schnell vor sich zu gehen pflegt, so hätte man auch lange Monate warten müssen, bevor ähnliche Verhältnisse wieder eintraten.
Am 5. Juni gegen Abend hatten sich die künftigen Passagiere der Jangada nach einer kleinen Anhöhe begeben, welche den Strand um etwa hundert Fuß überragte, wo sie die entscheidende Stunde mit begreiflicher Spannung, fast mit Angst erwarteten.
Hier befanden sich Yaquita, ihre Tochter, Manoel Valdez, der Padre Passanha, Benito, Lina, Fragoso, Cybele und mehrere indianische und schwarze Diener aus der Fazenda.
Fragoso freilich konnte unmöglich Stand halten, lief zum Strande hinab und wieder nach der Höhe hinauf, machte Merkzeichen und stieß ein Hurrah nach dem andern aus, wenn die Wellen dieselben erreichten.
»Er wird schwimmen, er wird schwimmen, rief er, der herrliche Zug, der uns nach Belem befördern soll! Er wird schwimmen und müßten sich alle Katarakte der Welt öffnen, um den Amazonenstrom zu schwellen!«
Joam Garral befand sich mit dem Steuermanne und zahlreicher Mannschaft auf dem Floße. Er mußte bei der Hand sein, um im letzten Augenblicke alle nöthig erscheinenden Maßregeln anzuordnen.
Ein ganzer Stamm von hundertfünfzig bis zweihundert Indianern aus der Nähe von Iquitos, abgesehen von den Bewohnern des Dorfes selbst, war zusammengeströmt, um dem interessanten Schauspiele beizuwohnen.
Alle Augen richteten sich nach einem Punkte, und in der erregten Menge herrschte doch ein tiefes Schweigen.
Um fünf Uhr Abends war das Wasser gegen dieselbe Zeit des vorhergehenden Tages um einen Fuß gestiegen und der ganze Strand verschwand schon unter den wirbelnden Wellen.
In den Planken und Bohlen des gewaltigen Baues begann es leise zu knarren, es fehlten aber noch einige Zoll Wasser, um denselben ganz aufzuheben.
Eine Stunde hindurch nahm das Knarren und Aechzen mehr und mehr zu. Die Planken knackten überall; nach und nach hoben sich die Stämme aus dem Sande. Gegen sechseinhalb Uhr erscholl lautes Freudengeschrei. Die Jangada schwamm endlich und die Strömung suchte sie nach der Mitte des Wassers hin zu ziehen. In Folge der Gegenwirkung der Taue aber, legte sie sich ruhig längs des eigentlichen Ufers an, gerade als der Padre Passanha seinen Segen über sie
Weitere Kostenlose Bücher