Die Jangada
seinen Wink hoben und senkten sich auf jeder Seite des Floßes fünfzig lange Stangen in einem Augenblicke, was in der That einen merkwürdigen Anblick bot.
Inzwischen bemühte sich Yaquita mit Hilfe Linas und Cybeles die letzte Hand an die innere Einrichtung des Wohnhauses zu legen, während sich die indianische Köchin schon mit der Vorbereitung zum Frühstück beschäftigte.
Die beiden jungen Männer und Minha lustwandelten in Begleitung des Padre Passanha auf dem Deck hin und her, doch blieb Minha zuweilen stehen, um die rings um das Haus angebrachten Pflanzen zu begießen.
»Nun, ehrwürdiger Vater, begann Benito, kennen Sie eine angenehmere Art des Reisens?
– Nein, liebes Kind, antwortete Padre Passanha, es ist wirklich, als ob man mit seinem ganzen Heim unterwegs wäre!
– Und so bequem dazu, daß man von Hunderten von Meilen keine Anstrengung spürt.
– Sie werden, fiel Minha ein, gewiß nicht bereuen, mit uns gereist zu sein. Erscheint es Ihnen nicht so, als wären wir auf einer Insel, die, vom Bettrand des Stromes abgelöst, mit ihren Wiesen und Bäumen stromabwärts triebe? Nur daß…
– Nun, nur daß?… wiederholte Padre Passanha.
– Daß diese Insel, Padre, das Werk unserer eigenen Hand ist, daß sie uns gehört und ich sie allen übrigen Inseln des Amazonenstromes vorziehe. Ich habe wohl ein Recht, etwas stolz auf sie zu sein!
– Gewiß, liebe Tochter, erwiderte Padre Passanha, ich absolvire Dich auch gern von dieser sonst sündhaften Empfindung des Stolzes. Zudem würde ich mir nicht erlauben, in Gegenwart Manoels auf Dich zu schelten.
– O, erst recht, rief das junge Mädchen heiter. Manoel mag es immer lernen, mich zu schelten, wenn ich es verdiene. Jetzt ist er gegen meine kleine Person, die ja auch ihre Fehler hat, gar zu nachsichtig.
– Nun, liebe Minha, nahm Manoel das Wort, dann werde ich gleich von Deiner Erlaubniß Gebrauch machen, um Dich zu erinnern…
– An was?
– Daß Du die Bibliothek der Fazenda so emsig durchstudirt und mir versprochen hast, mich über Alles, was den oberen Amazonenstrom betrifft, aufzuklären. In Para kennen wir denselben nur sehr mangelhaft; hier zeigen sich nun schon verschiedene Inseln auf dem Wege der Jangada, ohne daß Du daran denkst, mir auch nur deren Namen zu nennen.
– Ja, wer wäre das im Stande? rief das junge Mädchen.
– Nein, das ist zuviel verlangt, bekräftigte Benito seiner Schwester Worte. Wer vermöchte die Hunderte von Namen der »Tupisprache« im Gedächtniß zu behalten, welche alle jene Inseln und Eilande tragen. Damit käme kein Mensch zurecht. Die Amerikaner verfahren bezüglich ihrer Mississippi-Inseln praktischer, sie numeriren dieselben…
– Wie sie die Avenuen und Straßen ihrer Städte numeriren, fuhr Manoel fort. Offen gestanden, liebe ich dieses todte Numerirungssystem nicht besonders. Es giebt doch der Einbildungskraft gar keine Nahrung, wenn man von der vierundsechzigsten Insel, von der fünfundsechzigsten spricht, oder wenn man eine Straße als die sechste in der dritten Avenue bezeichnet. Bist Du nicht auch meiner Meinung, liebe Minha?
– Gewiß, Manoel, mein Bruder hat da seine eigene Ansicht, bestätigte das junge Mädchen. Kennen wir aber auch ihre Namen nicht, so sind die Inseln unseres großen Stromes doch nicht minder schön! Seht, wie sie daliegen unter dem Schatten riesenhafter Palmen mit zurückgebogenen Fächerblättern! Und der Kranz von Rosengebüsch, der sie so dicht umschließt, daß kaum eine schmale Pirogue sich hindurchzwängen könnte! Dazu die Mangobäume, deren merkwürdige Wurzeln sich gleich Klauen eines ungeheueren phantastischen Geschöpfes an den Uferrand klammern! O, diese Inseln sind herrlich und schön – das Eine fehlt ihnen, sie können sich nicht wie die unsrige von der Stelle bewegen!
– Meine kleine Minha läßt ihrer Phantasie heute ein wenig die Zügel schießen, bemerkte Padre Passanha lächelnd.
– Ach, würdiger Vater, antwortete das junge Mädchen, ich fühle mich so glücklich, Alles ringsum so glücklich und zufrieden zu sehen!«
Da erscholl die Stimme Yaquitas, welche Minha nach dem Innern des Hauses rief.
Lachend hüpfte das junge Mädchen von dannen.
»Sie werden an ihr eine liebenswürdige Gefährtin für das spätere Leben haben, sagte Padre Passanha zu dem jungen Manne. Der ganzen Familie Glück und Freude führen Sie hinweg, lieber Freund!
– Mein Herzensschwesterchen! fügte Benito hinzu. Wie werden wir sie vermissen! Ja, der Padre hat
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