Die Jangada
erlangen, wozu ihn doch eigentlich nichts gedrängt hatte.
Der gegen jeden Angeklagten von vornherein eingenommene Richter Jarriquez unterbrach ihn mit keinem Worte. Er begnügte sich, die Augen abwechselnd zu schließen und wieder zu öffnen, wie ein Mensch, der dieselbe Geschichte zum hundertsten Male erzählen hört; und als Joam Dacosta auf den Tisch sein Memoire niederlegte, rührte er sich nicht im mindesten, um dasselbe entgegen zu nehmen.
»Sind Sie fertig? fragte er.
– Ja, mein Herr!
– Und Sie bleiben bei der Aussage, daß Sie Iquitos nur verlassen haben, um eine Revision Ihres Processes zu erstreben?
– Das war mein einziger Grund.
– Womit wollen Sie das beweisen? Wer sagt uns, daß Sie sich ohne die Denunciation, welche zu Ihrer Verhaftung führte, freiwillig bei Gericht gestellt hätten?
– Zunächst dieses Schriftstück, antwortete Joam Garral, auf seine Arbeit weisend.
– Recht schön; doch eben das befand sich bis jetzt in Ihrer Hand, und nichts beweist, daß Sie, wenn Sie nicht gefänglich eingezogen wurden, davon den vorgegebenen Gebrauch gemacht hätten.
– Es giebt noch ein anderes Beweisstück, welches nicht mehr in meinem Besitz ist und dessen Authenticität nicht wohl in Zweifel gezogen werden dürfte.
– Und das wäre?
– Ein Brief, den ich an Ihren Vorgänger, den Richter Ribeiro, geschrieben und in dem ich diesem meine nahe bevorstehende Ankunft angezeigt habe.
– Ah, Sie hatten geschrieben?
– Ja, und dieser Brief muß wohl an seine Adresse gelangt sein und wird jedenfalls bald nun auch in Ihre Hände kommen.
– Wirklich? versetzte der Richter Jarriquez mit etwas ungläubigem Tone. Sie hatten an den Oberrichter Ribeiro geschrieben?
– Bevor er zu dieser von Ihnen genannten Stellung in dieser Provinz berufen wurde, antwortete Joam Dacosta, war der Oberrichter Ribeiro Advocat in Villa Rica. Er hat mich seiner Zeit in dem Criminalprocesse in Tijuco vertheidigt, und zweifelte gewiß nicht an der Rechtmäßigkeit meiner Sache. Er hat Alles versucht, mich zu retten. Zwanzig Jahre später, als er hier in Manao seine hohe Stellung inne hatte, habe ich ihm mitgetheilt, wer und wo ich war, sowie was ich vor hatte. Seine Ansicht bezüglich meines Falles erlitt bis zuletzt keine Aenderung, und auf seinen Rath hin bin ich jetzt aus meiner Fazenda aufgebrochen, um hier persönlich meine Rehabilitation zu betreiben. Leider mußte ihn ein plötzlicher Tod überraschen und ich bin vielleicht verloren, wenn ich in dem Richter Jarriquez nicht einen zweiten Ribeiro wiederfinde«
Der Beamte wollte, als er seine Person in’s Spiel gezogen sah, ganz gegen die Gewohnheit ehrbarer Gerichtspersonen, fast in die Höhe springen; er gewann jedoch noch die nöthige Herrschaft über sich und murmelte nur:
»Das ist stark, in der That sehr stark!«
Der Richter Jarriquez hatte offenbar Knorpel im Herzen und war gegen jede Ueberraschung gefeit. Eben trat ein Wächter ein und lieferte ein versiegeltes Couvert auf den Tisch des Vorsitzenden ab. Dieser erbrach das Siegel und zog einen Brief daraus hervor. Er entfaltete diesen, durchlas ihn, wobei sich seine Augenbrauen merkwürdig zusammenzogen, und sagte endlich:
»Ich habe keine Ursache, Joam Dacosta, Ihnen zu verheimlichen, daß mir hier eben jener Brief zur Hand gekommen ist, von dem Sie sprachen, und der wirklich an den Richter Ribeiro adressirt war. Was Ihre diesbezüglichen Aussagen betrifft, so fällt damit für mich jeder Grund weg, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
– Ebenso wenig bezüglich dieser Thatsachen, fiel Joam Dacosta ein, wie bezüglich aller anderen Umstände und Vorgänge aus meinem Leben, die ich Ihnen mitgetheilt habe.
– Oho, nicht so schnell, Joam Dacosta, unterbrach ihn der Richter lebhafter, Sie betheuern natürlich Ihre Unschuld, das thun aber auch alle Angeklagten. Alles in Allem bringen Sie dafür jedoch nur moralische Beweise bei. Besitzen Sie keine greifbaren Beweise?
– Vielleicht doch, mein Herr, antwortete Joam Dacosta.«
Auf dieses Wort hin verließ der Richter Jarriquez seinen Sitz. Das war zu stark für ihn, und er mußte mehrere Male im Zimmer auf und abgehen, um sich genügend zu sammeln.
Fünftes Capitel.
Materielle Beweise.
Als der selbstbewußte Beamte, gleich einem Manne, der über sich Herr geworden ist, seinen Platz wieder einnahm, lehnte er sich in dem Armsessel weit zurück, heftete die Augen an die Decke und sprach im Tone vollster Gleichgiltigkeit, ohne den Angeklagten nur dabei
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