Die Janus-Gleichung
können. Der Laut war noch fast jenseits des Hörvermögens, war wie das Summen einer Mücke, das über dem Plätschern des Baches kaum zu vernehmen war. Essian schloß den Wärmeanzug bis an den Hals, legte sich rücklings in das kalte Wasser und bedeutete Jill, dasselbe zu tun. Als sie zögerte, setzte er sich wieder auf und stieß sie hinein, bis sie fast völlig untergetaucht war, nur noch ihr dunkles Haar in der Strömung trieb und alles andere verhüllte bis auf Nase und Kinn, die über der Wasseroberfläche blieben. Essian erstickte ein Stöhnen, als ihm das eisige Wasser in Hals und Ohren biß. Er hielt Stirn und Nase über der Wasseroberfläche und beobachtete das rechte Ufer. Die Hals-, Arm- und Fußmanschetten des Wärmeanzugs bliesen sich durch den plötzlichen Temperaturabfall automatisch auf und hielten das Wasser vom Körper fern, aber Gesicht und Hände schmerzten erst und wurden dann taub. Als sich ihm bereits ein Schleier über die Augen legte, tauchte der Wärmesucher, der aussah wie eine riesige Drohne, über dem Rand des Ufers auf und schwebte über ihnen. Der Ring wimpernähnlicher Fäden in der zuckerhutförmigen Nase wirbelte in der maschinellen Entsprechung von Unentschlossenheit. Essian hielt die Luft an und hoffte, daß auch Jill daran denken würde, denn der Wärmesucher war in der Lage, einen Hauch körpererwärmtes Kohlendioxid zu orten, besonders gegen den eisigen Untergrund des Baches.
Der Sucher hüpfte über ihnen wie eine riesige stählerne Wespe hin und her. Dann aber, als schon die tanzenden schwarzen Flecken der Bewußtlosigkeit Essians Wahrnehmung zu trüben begannen, entfernte sich die Drohne in die Richtung, in die auch das Reh vor wenigen Minuten geflüchtet war. Essian stieß die angehaltene Luft explosionsartig unter Wasser aus, sog dann gierig die frische Luft in seine schmerzenden Lungen und atmete erneut unter Wasser aus. Er zwang sich dazu, diese Methode noch eine volle Minute lang fortzusetzen, bevor er sich aufrichtete und Jill auf die Schulter tippte. Im Wald herrschte Stille, und das Summen des Wärmesuchers war nicht mehr zu hören. Jill preßte die Hände auf die Ohren, und Essian riß den vorderen Reißverschluß auf, um seine Hände in den warmen Achselhöhlen zu vergraben. Wenige Minuten später machte er sich schon wieder auf den Weg, immer nah am Bach, und Jill folgte ihm wortlos.
Da sie den Drei-Tage-Vorrat rationierten, reichte er für fünf. Zum Schluß fühlten sie ständig einen nagenden Hunger. Während dieser fünf Tage tauchten sie vierzehnmal im Bach unter, während die Wärmesucher über ihnen herumkurvten. Dreimal waren in der Nacht in der Nähe Stimmen zu hören gewesen. Derjenige von ihnen, der gerade Wache hielt, zerrte dann den anderen mit in den Fluß, wo er durch den Schock vollends aufwachte. Siebenmal war es innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden passiert, und Essian wußte, daß die jetzt so häufig zu hörenden Geräusche des Suchkommandos früher oder später mit ihrer Entdeckung enden würden. Aber der Gedanke hieran machte ihm nicht so zu schaffen wie der Schmerz in Waden und Knöcheln, wie das mühsame Atmen, als sie am Ufer des Baches entlang taumelten, oder das fast überwältigende Verlangen seines Körpers nach Ruhe. Kilometer um Kilometer torkelte Jill mit stumpfem Blick hinter ihm her. Jegliche Unterhaltung war schon vor Tagen erstorben, und keiner von ihnen hatte noch die Energie, sich zu beklagen. Sie konnten nur endlos einen Fuß vor den anderen setzen. Essian begann erst zu phantasieren und sich dann nach der Gefangennahme zu sehnen. Die Zeitmaschine würde nur ein kleiner Preis sein, für ein heißes Bad, ein warmes Mahl und eine letzte Nacht in einem warmen Bett. Sheth würde ihm das sicherlich gewähren.
Endlich kamen sie zu der Stelle, wo sich der Fluß durch eine Lichtung nach Süden schlängelte. Auf der anderen Seite der Lichtung befand sich ein altes Holzhaus, eine Wendemarke, die der Troll auf der Landkarte eingekreist hatte. Essian und Jill fielen neben dem Flüßchen nieder und starrten auf das Haus.
»Wir müssen uns jetzt vom Bach entfernen. Es sind noch zehn Kilometer bis nach Haus. Genau nach Osten.«
Durch das lange Schweigen klang Essians Stimme undeutlich und verschwommen.
Jill stieß einen Seufzer aus.
Essian zog den Blaster aus dem Rucksack und überprüfte die Ladung, obwohl er das immer und immer wieder getan hatte. Auch Jill kramte ihr Waffe hervor und legte sie neben sich ins
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