Die Jerusalem-Krise
der gesunden Hand an Doreen’s Schulter fest. Er litt, und sein Gesicht sah aus wie das eines Fremden.
Alan Long griff zu. Es bereitete ihm keinen Spaß, die Hand zu umfassen, aber es musste sein. Er spürte die andere Haut an seiner und fragte sich, ob das noch eine Haut war. Widerwille stieg in ihm hoch, doch er musste hindurch.
»Zieh!«, flüsterte Doreen.
Alan tat es. Er merkte, dass sich Smith nicht geirrt hatte. Der Arm löste sich von der Schulter. Er rutschte im Innern des Ärmels herab nach unten, und nach einem letzten Zug hielt Alan Long den Arm seines Partners fest.
»Oh Gott!«, flüsterte er nur. Long war ein harter Mossad-Mann, der einiges in seiner gefährlichen beruflichen Laufbahn erlebt hatte. Was er hier allerdings geboten bekam, das war einfach zu viel für ihn. Er schaffte es nicht, den Arm loszulassen. Es war wie ein Zwang in seinem Innern. Immer wieder musste er gegen das Beutestück starren, dessen Haut sich so verbrannt anfühlte, so leicht, pudrig und fetzig war, so dass die Hautstücke wie grauer Schnee abfielen und durch die Luft trieben.
Er ließ den Arm fallen.
Er sagte nichts. Er starrte nur in das Gesicht seiner Kollegin, und Doreen gab den Blick zurück. Noch immer hockte sie neben Smith und hielt ihn fest.
»Die Kraft hat ihn verbrannt«, flüsterte sie.
»Aber es gab kein Feuer«, stöhnte Long.
»Ich weiß.«
»Was ist das nur?«
»Magie!«, hauchte sie nach einer Weile. »Das muss Magie sein. Ich weiß sonst auch keinen Rat.«
»Sinclair«, flüsterte Alan Long. »Sinclair ist einer, der sich damit beschäftigt. Wir haben über ihn einiges sammeln können. Er ist jemand, der sich...«
»Hör auf, Alan!«
»Warum?«
Long hatte einen Blick in das starre Gesicht seiner Kollegin geworfen. Jetzt schaute er zu, wie sie den Kopf langsam senkte, um Smith anzublicken.
»Was hast du?«
»Ich glaube...«, sie schluckte. »Ich glaube, dass er tot ist.«
»Was?«
»Daniel atmet nicht mehr.«
Long nahm die kleine Leuchte an sich, die der Chinese verloren hatte. Er strahlte direkt in das Gesicht seines Kollegen, in dem sich nichts mehr bewegte. Es sah wirklich aus wie eine Totenmaske. Die Augen standen noch offen, aber darin gab es keinen Funken Leben mehr. Und die Haut hatte sich ebenfalls verändert. Sie war von dunkelblauen Schatten überzogen, die vom Hals bis zur Stirn reichten. Hier war das Grauen kein Gefühl mehr, hier war es sichtbar geworden.
Doreen Kelly konnte und wollte den Körper nicht mehr halten. Sehr langsam rutschte er aus ihrem Griff hervor und fiel zu Boden. Unter der Kleidung hörten sie ein Schaben oder Knistern, als wären kleine Flammen dabei, den Körper auch weiterhin zu zerstören.
Long drückte gegen die Lederjacke.
Beide hörten es knirschen.
»Er wird zu Asche«, flüsterte Doreen. »Aus Asche ist er geworden, zu Asche wird er. Oder so ähnlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich packe es nicht, verflucht.« Dass sie feuchte Augen bekommen hatte, störte sie nicht. Auch sie war keine Maschine, und bei ihr veränderte sich allmählich das Bewusstsein. Sie merkte plötzlich, dass es auch Aufgaben gab, an denen man verzweifeln konnte.
So war es bei ihr.
Alan Long erhob sich. Er deutete auf das Bild und besonders auf John Sinclair. »Er ist schuld, Doreen, nur er.«
Auch sie stand auf. »Meinst du es wirklich?«
»Was sonst?«
Doreen schüttelte den Kopf. »Es kann auch an uns gelegen haben. An unserer Gier. Manchmal gibt es Regeln und Gesetze, die man einfach einhalten muss. Wir haben das nicht getan. Das heißt, Daniel hat sie übertreten. Er hätte sich nicht mit dem Bild beschäftigen dürfen.«
»Aber das haben wir doch auch getan.«
»Stimmt. Nur nicht auf eine so direkte Art und Weise.«
»Verstehe«, flüsterte Long und ballte seine rechte Hand zur Faust. »Wir werden also aufgeben müssen.«
»Davon habe ich nichts gesagt.«
»He, dann machen wir weiter?«
»Wir? Wir halten uns zurück. Ich will den Schatz der Templer.« Sie hob den rechten Arm und streckte den Zeigefinger aus. »Und Sinclair wird uns zu ihm führen...«
***
Ich war zu einem Teil des Bildes geworden und gleichzeitig zu einem Beobachter, der das sah, was sich außerhalb des Bildes tat und nur eine Schrittlänge entfernt ablief.
Ein Gefühl der Panik oder der Angst hatte mich nicht überfallen. Zwar gehörten diese Exkursionen nicht zu meinem Alltagsleben, fremd waren sie mir jedoch auch nicht. Zu viele Zeitreisen hatte ich schon erlebt, auch einige in
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