Die Jerusalem-Krise
Vergangenheiten, die viel weiter zurücklagen als diese hier in Schottland.
Ich war in der Lage, mich zu bewegen, und doch schaffte ich den Weg zurück nicht. Irgendwie musste ich mich auch als Gefangener fühlen, das war klar. Ich sah die Bewegungen der anderen Personen so verschwommen wie jemand, der durch die schraffierte Scheibe eines Fensters blickt und mehr ahnte als normal erkannte.
Es blieb nicht stumm in meiner Umgebung. Es war etwas zu hören. Zwar gedämpft, aber ich fand sehr schnell heraus, dass auf der anderen Seite nicht alles mit rechten Dingen zuging. Dort musste die Lage eskaliert sein. Nur fand ich leider nicht heraus, was dort ablief, und das machte mich wütend.
Es wurde auch sehr bald wieder still, und so konnte ich mich um mich selbst kümmern.
Bisher hatte ich für mich persönlich nichts getan. Ich musste mich erst mit meiner eigenen Lage zurechtfinden, und als ich mich dann zur Seite drehte, freute ich mich schon darüber, dass ich mich überhaupt bewegen konnte.
Nichts hielt mich fest. Kein Stein klemmte mich ein. Das Bild war vorhanden, ich gehörte jetzt dazu, ebenso wie die beiden Männer, die noch in meiner Nähe standen.
Hugo de Payens und Henry St. Clair!
Stimmte das?
Noch hatte man mir nicht den endgültigen Beweis gegeben. Ich drehte mich langsam zu ihnen hin um und musste mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass ich mich bewegen konnte und sie nicht, weil sie einfach nur auf die Wand gemalt worden waren.
Oder nicht?
Die Zweifel kamen mir ganz automatisch. Ich dachte daran, dass der Mann im grünen Mantel durch die Berührung mit dem Kreuz verschwunden war. Er hatte sich praktisch aufgelöst. Die Kraft des Kreuzes musste ihn vertrieben haben, um für mich den nötigen Platz zu schaffen. Ich konnte ihn zunächst mal vergessen und schaute auf mein Kreuz, nachdem ich eine halbe Drehung hinter mir hatte.
Es lag nach wie vor auf meiner rechten Hand. Jetzt war auch die sanfte Wärme zu spüren, die von ihm ausging. Für mich war es ein gutes Gefühl. Ich fühlte mich irgendwie geborgen, weil es mich eben nicht im Stich gelassen hatte.
Die beiden Männer standen jetzt vor mir. Figuren. Eben wie gemalt. Sie hatten ihre Köpfe nicht gedreht, und so schauten sie an mir vorbei, während ich sie direkt anblickte. Ich suchte nach Leben in ihren Gesichtern, nach einem Zucken der Mundwinkel, nach einem Blinzeln der Augen, doch da war einfach nichts. Sie blieben wie zwei Statuen stehen. Eines hatte sich schon verändert. Als ich auf das Bild schaute, da waren sie mir wie Gemälde vorgekommen, zwar dreidimensional, aber nicht wie Statuen, denn als solche sah ich sie jetzt an.
Ich wollte herausfinden, wie sie auf mein Kreuz reagierten. Der eine hatte sich aufgelöst. Ob es bei Hugo de Payens und Henry St. Clair auch so sein würde, darüber konnte ich rätseln. Es war natürlich ein Risiko, sie anzugreifen oder nur zu berühren, denn ich dachte auch daran, dass sie mir möglicherweise Informationen geben konnten, denn im Hinterkopf dachte auch ich an den Templer-Schatz. Ich war zwar nicht unbedingt darauf aus, ihn zu bekommen, aber es interessierte mich schon, ob es Teile von ihm hier überhaupt noch gab.
Die erste halbe Drehung lag hinter mir, und jetzt versuchte ich es mit dem Schritt nach vom.
Es klappte.
Beide Gestalten bewegten sich nicht.
Ich ging noch einen weiteren Schritt vor. Das Kreuz blieb warm in meiner Hand liegen, als wollte es mich beruhigen. Ich merkte auch, dass mein Herz schneller schlug, und fühlte mich nicht anders als in der normalen Welt auch.
Henry St. Clair, falls er es wirklich war, stand mir am nächsten. Er war mir auch am nächsten. Mich mit ihm zu unterhalten, das wäre schon phänomenal gewesen. Schließlich war er es gewesen, der für den Bau von Rosslyn Chapel gesorgt hatte. Möglicherweise hatte er auch für dieses Zeittor gesorgt, das für mich so wichtig war.
Ich schaute auf die gespreizten Finger und überlegte, was die Haltung bedeutete. Wollte er jemand abwehren und ihm klar machen, auf keinen Fall näher zu kommen, oder wies die Hand auf irgendein Ziel hin, das wichtig war?
Noch blieb sein Gesicht starr. Die dunklen Augen erinnerten mich an die einer Puppe. Die Lippen bewegten sich ebenfalls nicht, aber es geschah trotzdem etwas. Nach dem dritten Schritt, der mich nahe an ihn heranbrachte, reagierte er.
Er wich zurück.
Nein, er schwebte. Ich konnte nur staunen, als ich sah, wie er nach hinten gedrückt wurde und sich aufzulösen begann.
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