Die Joghurt-Luege
Bestanden die Mahlzeiten |38| dagegen aus Fertigprodukten, kamen 1 864 Kilokalorien zusammen – bei 64 Gramm Fett und 124 Gramm Zucker. Das Fünffache der empfohlenen Zuckermenge nährt nicht nur das Fettdepot der Kinder. Es bedeutet für die Lebensmittelindustrie auch einen höheren Absatz des süßen Milliardenrohstoffs.
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Abbildung 1: Pro-Kopf-Verbrauch von Süßwaren (Schätzung für 2005, Bevölkerung 2,4 Mio. – Veränderung zum Vorjahr in %)
Quelle: BDSI, 01/200
|38| Die Branche gibt sich in Ernährungsfragen wohl interessiert, aber wenig einsichtig. In einer Erklärung des Bundesverbandes der Süßwarenindustrie 26 begrüßte sie zwar die Fortsetzung der Bemühungen im Rahmen der »Plattform Ernährung und Bewegung (peb)«, spricht sich jedoch eindeutig gegen eine Schaffung von Nährwertprofilen und eine Knüpfung von Werbeaussagen an entsprechende Nährwertprofile aus. »Gesetzgeberische Maßnahmen, die das Ernährungsverhalten lenken wollen oder Werbebeschränkungen einführen, sind nach |39| unserer Überzeugung nicht der richtige Weg und gefährden unnötig die Existenz von Betrieben und Arbeitsplätzen« 27 , heißt es in der Erklärung – eine unterschwellige Drohung, wie sie Unternehmen allzu oft ins Spiel bringen, wenn eigene Interessen mit gesellschaftlichen Zielen kollidieren.
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Abbildung 2 : Zuckerverbrauch
Quelle: Südzucker 25
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|40| Kapitel 2
Functional Food
Das Marketingversprechen
Vorgestern nannten wir es noch Essen, heute nennen wir es Schlemmen. Morgen aber werden herkömmliche Bezeichnungen die moderne Ernährung nicht mehr treffend beschreiben können. »Nahrung soll eure Medizin und Medizin eure Nahrung sein«, lautet die derzeit häufig bemühte hippokratische Lebensmaxime, die ihre Renaissance im 21. Jahrhundert zu erleben scheint. Doch die »Gesundheit zum Essen«, wie Functional Food umschrieben wird, offenbart sich ganz anders, als es sich der Vater der Medizin um 400 vor Christus hätte träumen lassen. Denn Lebensmittel sind längst nicht mehr das, was sie einmal waren: durch einfache Technologien wie Erhitzen, Kühlen, Salzen, Zuckern oder Trocknen haltbar gemachte oder aufbereitete Mittel zum Leben, die den Menschen unabhängiger werden lassen von den Jahreszeiten und ihn vor Krankheiten schützen, die der Verderb mit sich bringt. Zu Zeiten des Überflusses sollen Speisen nicht mehr nur sättigen. Sie verkörpern Lebenslust und sozialen Status, offenbaren Standpunkte und Denkweisen ihrer Konsumenten. Auch soll Nahrung von heute Bedürfnisse aller Art befriedigen, mögen diese auch noch so widersprüchlich sein: Sie soll schmecken, ohne dick und krank zu machen; sie soll »natürlich« hergestellt, aber ohne Makel und schnell zubereitet sein; sie soll frisch und immer verfügbar, aber billig sein. Verzicht ist nicht die Sache des Verbrauchers, und so ersteht eine neue Lebensmittelgeneration. Produkte des Functional Food, so die hochfliegenden Träume der Industrie, verschaffen Genuss, sind auf das Individuum zugeschnitten und beugen Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Karies, Osteoporose oder Diabetes mellitus vor.
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|41| Was ist Functional Food?
Weil die Grenze zwischen Medikamenten und Nahrung zunehmend verschwimmt, ist es nicht leicht, eine klare Trennlinie zu konventionellen Nahrungs- und Genussmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Naturheilstoffen und Therapeutika zu ziehen. Wissenschaftler und Ernährungsfachleute tun sich schwer mit dem Begriff Functional Food. Die Definition des Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), bei funktionellen Lebensmitteln handele es sich um solche Verzehrgüter, »die über ihre Ernährungsfunktion hinaus gesundheitlich bedeutsame, physiologische Parameter langfristig und gezielt beeinflussen sollen« 1 , bleibt vage; die Synonyme »Designer-Lebensmittel« oder »Nutraceuticals« verwirren den Verbraucher eher, als dass sie Klarheit fördern. Eine einheitliche Produktgruppe wie zum Beispiel Teigwaren, Tiefkühlkost oder Milcherzeugnisse bietet Functional Food nämlich nicht. Wenn sich der Glaube in den kommenden Jahren durchsetzt, nicht die Änderung des Lebensstils entscheide über Fitness und Widerstandskraft, sondern der gezielte Griff ins Supermarktregal, kann im Prinzip jedes beliebige Lebens- und Genussmittel zu Functional Food aufgepeppt werden.
Gegenwärtig verfolgen die Unternehmen der Lebensmittelbranche verschiedene Strategien
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